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Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)

Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition)

Titel: Frauen und Bücher: Eine Leidenschaft mit Folgen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Bollmann
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deutscher Reisender: »Jeder – hauptsächlich aber die Frauen – hat dort ein Buch in der Tasche. Man liest im Wagen, auf der Promenade, im Theater, in den Pausen, im Café, im Bad.« Manche Neuerscheinungen lösen eine derartige Nachfrage aus, dass der Verleiher jedes Buch kurzerhand in drei Teile zerschneidet. Lösen Bücher womöglich Revolutionen aus?
    So vermutet man auch in London, zu dieser Zeit die größte Stadt der Welt, wo man die Geschehnisse auf dem Kontinent aufmerksam verfolgt. Mary Wollstonecraft arbeitet gerade an ihrer Schrift zur Verteidigung der Rechte der Frau und verfasst zugleich als erste Frau professionell Literaturkritiken. Ihr Spezialgebiet: Frauenromane, die England damals überfluten. Bekannt wird sie vor allem durch ihre schneidenden Verrisse: Sie findet die meisten der von Frauen geschriebenen Bücher einfach unsäglich klischeehaft – kein Stoff für Leserinnen, die ihr Leben in die eigene Hand nehmen wollen.
    Von den Romanen Jane Austens, die bald darauf zu erscheinen beginnen, hätte sie das sicher nicht gesagt. Die unscheinbare Austen, eine fleißige Leserin Wollstonecrafts, macht aus Fragen der weiblichen Partnerwahl Weltliteratur. Lesen, insbesondere Romanlektüre, sieht sie als zeitgemäßen Weg der Frauen zu mehr Unabhängigkeit.
    Weltliteratur schreibt kurz darauf auch Wollstonecrafts Tochter Mary Shelley. Im völlig verregneten Sommer des Jahres 1816 erfindet sie in einer Literatenrunde am Genfer See die Figuren des Dr. Viktor Frankenstein und des von ihm geschaffenen Monsters. Die namenlose Kreatur ist ein exemplarischer Außenseiter und eigentlich ein empfindsamer Mensch, der Romane liest – mit Vorliebe Goethes Die Leiden des jungen Werthers , jenes Buch, das seit seinem Erscheinen die Leserinnen in ganz Europa zu Tränen rührt. Ist Dr. Frankensteins liebeshungriges Geschöpf in Wirklichkeit eine Frau?
    Schon bald zeigt das Jahrhundert sein Janusgesicht. Die lesende Frau beginnt Karriere zu machen – als Erzieherin, Lehrerin, gar als Bestsellerautorin, wie etwa Eugenie John, Vorleserin in fürstlicher Anstellung, die als E. Marlitt für die Familienzeitschrift Die Gartenlaube millionenfach gelesene Fortsetzungsromane schreibt. Gleichzeitig aber schreitet auch die Dämonisierung der Leserin fort. Das Jahrhundert zeigt sich besessen von der Idee, Romanlektüre sei der direkte Weg zum Ehebruch, natürlich nur im Fall der Frau. Emma Bovary, Anna Karenina und noch Effi Briest sind die prominentesten literarischen Täterinnen (und zugleich Opfer) dieser männlichen Zwangsvorstellung.
    1910 dann ist endlich Schluss mit dem langen viktorianischen 19. Jahrhundert. Das jedenfalls meint Virginia Woolf, wenn sie schreibt, irgendwann im Dezember 1910 habe sich der menschliche Charakter verändert. Das neue Jahrhundert kommt zu diesem Zeitpunkt langsam in die Pubertät. Bald machen sich erste Verhaltensauffälligkeiten bemerkbar: Junge Menschen ziehen etwa vom Londoner Nobelstadtteil Kensington ins heruntergekommene Bloomsbury, homosexuelle Literaten begegnen Frauen auf Augenhöhe, man lebt, liebt und arbeitet in wechselnden Zusammensetzungen an wechselnden Orten. Ein junges Schriftsteller-Ehepaar legt sich eine handbetriebene Druckerpresse zu, auf der es nachmittags Avantgardeliteratur in Kleinstauflagen herstellt. Und insbesondere die Frauen lesen, bis sie »schwarz« werden.
    Die Entwicklung ist nicht mehr aufzuhalten: Lesende Frauen werden Verlegerinnen, sie gründen Buchhandlungen und sorgen für den illegalen Druck verbotener Romane, die wie der Ulysses von James Joyce hochliterarisch, doch voller Obszönitäten sind. In den 1950er Jahren lässt sich Marilyn Monroe, die das Image der blonden und dümmlichen Sexbombe leid ist, dabei fotografieren, wie sie in dem schmutzigen Buch liest, das es inzwischen zu einer Ikone der Hochkultur gebracht hat. Da befruchten sich zwei Welten, die zusammengehören, und auch die Literatur profitiert von der Ausstrahlung, die durch die im Badeanzug lesende, mit ihren Reizen keineswegs geizende Marilyn auf sie fällt: Lesen ist sexy.
    Seit den 1960er Jahren erobert die lesende Frau die Welt und die Medien, was zunehmend dasselbe ist. Ein anfangs belächeltes, verspottetes, pathologisiertes Verhalten erfährt eine Aufwertung ohnegleichen. Den Frauen passt das Kleid der Leserin wie angegossen. Von der Männergesellschaft auf randständige Plätze verwiesen, entspricht es ihrer Art, an der Welt teilzuhaben, ohne sich ins Getümmel zu stürzen;

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