Frauenbataillon
Zugstärke … Und es waren Frauen, die sie vernichtet haben.
Frauen!
Peter Hesslich hatte Ugarows Augen im Fadenkreuz. Hoch in die Luft warf Victor Iwanowitsch die Arme, als der tödliche Schlag sein linkes Auge traf, ein heißer Bolzen in sein Gehirn drang und sein Leben beendete. Er war bereits tot, als er auf Soja Valentinowna fiel, als wolle er sie mit seinem Leib vor weiterer Qual schützen. Gemeinsam lagen sie in der Senke, Kopf an Kopf, so wie sie so oft in glücklicheren Zeiten beieinander gelegen hatten.
Präzise, Schuß um Schuß, tötete Hesslich eine Rotarmistin nach der anderen. Insgesamt erschoß er zwölf Mädchen und empfand dabei weder Reue noch Ekel vor sich selbst. Er dachte nur an das, was er kurz zuvor miterlebt hatte, als seine Kameraden den Fluß durchwateten. Hilflos, die Gewehre über den Kopf haltend, waren sie von diesen Mädchen abgeknallt worden, wie Tiere auf einer Treibjagd.
Davon abgesehen hatte er nur noch eines im Kopf: das Urwort Leben! Soviel ist gesagt und geschrieben worden über die Gedanken eines Soldaten beim Sturmangriff … nur leider entspricht es in den meisten Fällen nicht der Wahrheit. Ein Soldat beim Sturm denkt nicht, gar nichts, es sei denn: Weiter! Weiter! Durch … durch. Ansonsten wird das Denken abgeschaltet, die Beine rennen, die Hände schießen und stechen und schlagen, die Kehlen schreien Hurra oder Urrää, und da ist der Feind, da ist die gegnerische Stellung, da muß man durch, da muß man rüber, und wenn man es geschafft hat, dann hat man fürs erste überlebt, dann hockt man in einem Trichter oder liegt hinter einer Mauerruine oder wirft sich im Schutze eines abgeschossenen Panzers auf die Erde. Und dann erst beginnt das Denken wieder, und mit tiefer Freude stellt man fest: Du hast es heute überstanden. Du bist noch einmal aus der Scheiße herausgekommen. Wie viele Tote hatten wir? 29 Mann allein bei uns in der Kompanie? Was, der Fritz ist auch dabei und auch der Walther? Verdammt gute Kerle! Müssen hier am Donez in die Erde. Der Walther hat doch gerade während des letzten Urlaubs geheiratet und gleich Nägel mit Köpfen gemacht. Im letzten Feldpostbrief stand: »Ich bekomme ein Kind … wie sehr ich mich freue. Aber jetzt habe ich auch doppelte Angst um Dich …« – Walther mit ›th‹. Kopfschuß mitten im Flüßchen Rosumnaja. Von einem Mädchen erschossen …
Ja, jetzt ist man wieder zu normalem Denken fähig – aber nicht beim Sturmangriff, nicht beim Zielen, nicht beim Durchziehen des Zeigefingers. Nicht, wenn ausschließlich der Selbsterhaltungstrieb regiert.
Heldentum ist eher eine tierische als eine menschliche Eigenschaft.
Die neuen Meldungen kamen jetzt bei Stella und Sibirzew zusammen. Ugarow tot, Leutnant Marina Antonowna Obuschowa, die im Notfall die Bajda vertreten sollte, tot. Sergeant Katja Semjonowna tot. Ebenso die Unteroffiziere Olga, Jekaterina und Vera. Der rechte Flügel der Abteilung unter schwerem Tiger-Beschuß. Bei den Deutschen wird leichte, mit Pferden bespannte Feldartillerie aufgefahren, schnelle Einheiten im Schutze des verdammten dicken Ferdinand. Und: Vierzehn Tote durch Kopfschuß, darunter Soja und Ugarow und Vera und … und …
Stella Antonowna und Sibirzew waren jetzt die einzigen Unterführer der Abteilung Bajda. Sibirzew raste in Zickzacksprüngen zu Stellas ausgebautem Schützenloch und ließ sich über den Rand hineinfallen. Er blutete an der Stirn. Es war jedoch kein Streifschuß oder eine Splitterverletzung, sondern er hatte sich lediglich beim Hinwerfen aufgeschlagen.
»Du mußt die Abteilung übernehmen!« schrie er Stella an. »Niemand ist mehr da! Alle Verbindungen abgerissen! Wir sind hier wie eine Insel. Links und rechts sind die Deutschen durch! Stella, du mußt handeln! Hier gehen wir vor die Hunde …«
»Und du?« schrie sie zurück. »Du bist auch Sergeant! Und du bist ein Mann!«
»Als ob das bei euch jemals eine Rolle gespielt hätte!« sagte Sibirzew bitter. »Ihr seid doch die großen Heldinnen! Was glaubst du, was man von einer Korolenkaja erwartet, he?«
Vierzehn Kopfschüsse … das ist er, dachte sie und erschauerte. Nur er kann das sein, nur Pjotr kann hier durchgekommen sein. Er liegt irgendwo herum und schießt, gefühllos wie eine Maschine. Zielt mit diesen Augen, die so zärtlich sein können, schießt mit diesen Händen, die so betäubend streicheln können … Wer wird jemals den Menschen begreifen?
»Melder zu den Gruppen!« sagte Stella hart. Sie sah die drei
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