Frauenbataillon
gutes Ziel?
Langsam ging sie weiter, Schritt für Schritt, ging mit hocherhobenem Kopf und steifem Nacken durch die Nebelschwaden, und Hesslich beobachtete sie. Sein Gesicht zuckte, er hätte schreien können, aber noch immer war er wie gelähmt, und nur von dem einen Gedanken besessen: Lauf, Stella … bitte, bitte, lauf …! Dort hinten wartet dein T 34. Sitz auf! Hau ab … bitte, bitte … Die Flammenwerfer kommen …
Stella Antonowna stakste durch den Nebel, als seien ihre Beine aus Holz. Ihre Hände umklammerten die Munitionskästen. Sie blickte starr geradeaus.
Warum schießt du nicht, Pjotr? … dachte sie. Weil ich ein Mädchen bin? 147 Deutsche stehen in meinem Trefferbuch! Ist das keine stolze Zahl? 147 von deiner Sorte! Auch du warst heute erfolgreich. Man wird dir einen Orden verleihen, bestimmt! Und nun stehst du da, irgendwo, und schießt nicht! Warum nicht? Weil wir einmal beieinander lagen? Weil wir einander sagten: Ich liebe dich?! Ist das ein Grund, jetzt zu versagen? Es herrscht Krieg, Pjotr! Ich bin ein Feind … Was macht es schon aus, daß dieser eine Feind für dich seine Schenkel geöffnet hat? Nichts – oder? Wir müssen uns vernichten, das ist alles, was von uns verlangt wird, keine Liebe … Pjotr, schieß …! Du solltest nicht zögern …
Regungslos sah Hesslich zu, wie sich ihre Gestalt in den Nebelschwaden auflöste. Vierzig Meter seitlich von ihm war das Sturmboot gelandet. Die Pioniere hetzten ans Land, der erste Flammenwerfer durchglühte den künstlichen Nebel.
Lauf, Stella, lauf … dachte Hesslich und ließ sich in den Busch fallen. O Gott, lauf doch …
Durch den Nebel hörte er die Panzerketten rasseln. Der wartende T 34 hatte die letzten Mädchen der Abteilung Bajda aufgenommen und donnerte nun davon. Hesslich setzte sich, klemmte sein Gewehr zwischen die Beine und wartete, bis die ersten Männer der 4. Kompanie an ihm vorbeirannten. Ihnen schloß er sich an, als habe er die ganze Zeit mit ihnen an der Böschung gelegen. Erst als sie die Nebelwand durchbrochen hatten, machten sie halt.
Die Panzer waren weg. Nur eine Staubwolke verriet die Richtung, in der sie sich entfernt hatten. Auch Flak und Pak hatten sich zurückgezogen. Sieben getroffene Geschütze, neben denen verkrümmte Tote lagen, blieben zurück.
Der Brückenkopf Melechowo hatte seinen Zweck erfüllt: Der deutsche Vormarsch war schon am zweiten Tag ins Stocken geraten, und zwar nicht nur hier, sondern überall. Im Norden bei der 9. Armee, am linken Flügel im Süden bei der 4. Panzer-Armee und beim II. SS-Panzer-Korps. Selbst das XLVIII. Panzer-Korps auf dem äußersten linken Flügel der Angriffskeile quälte sich nur ein paar Kilometer vor. Die Armee-Abteilung Kempf hatte Belowskaja erobert – ganze elf Kilometer von den Ausgangsstellungen entfernt. Das Wunder von Kursk fand nicht statt, das Fanal, das Hitler erhoffte und das Rußland lähmen sollte, loderte nicht auf … So wie bei Melechowo hatten die sowjetischen Bataillone überall verbissen Widerstand geleistet und waren dann, ganz im Sinne ihrer Gummitaktik, zurückgewichen. Die dezimierten deutschen Stoßkeile folgten nur zögernd. Ihre innere Kraft war bereits gebrochen.
Bauer III zählte, was von seiner 4. Kompanie übriggeblieben war. Es waren noch dreiundvierzig Mann. Lorenz v. Stattstetten war verwundet – Streifschuß am Haaransatz. Mit seinem durchbluteten Kopfverband sah er sehr attraktiv aus. Er paßte auf ein Heldenfoto der Propagandakompanie, unter dem dann in deutschen Zeitungen zu lesen sein würde: »Unbeugsam stürmt der deutsche Soldat nach Osten. Selbst die Verwundeten reißt der Siegeslauf mit.« Für den Text waren die PK-Männer allerdings nicht verantwortlich. Er würde, wie die meisten Texte, direkt aus dem Propagandaministerium in Berlin kommen, zentral gesteuert nach Goebbels Wochenparolen.
Stattstettens Trupp bestand nur mehr aus Verwundeten. Die meisten von ihnen hatten Splitterverletzungen, elf Mann, die, sich gegenseitig stützend, heranhumpelten. Und aus den Nebelschwaden, die ein leichter Wind jetzt langsam zerteilte und durchlöcherte, kam auch Peter Hesslich. Bauer III starrte ihn an wie ein Gespenst.
»Du …?« sagte er gedehnt.
»Wie du siehst.« Hesslich setzte sich ins Gras. Inzwischen waren auch die Sanitäter über den Fluß gekommen und suchten nach Verwundeten. Zwei Panther rauschten links und rechts an ihnen vorbei. Sie hatten es gewagt, durch den seichten Fluß zu fahren und waren tatsächlich nicht
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