Frauenbataillon
der Achtung der Leute hob. Die Produktion begann. Die fertige Ware wurde gestapelt bis zum Frühjahr, um einen Vorlauf zu haben und die deutschen Schneider in Trab zu halten.
Nach der Schneeschmelze fuhren sie mit einem Lastwagen voller Webballen zuerst nach Mirny, wo Major Meteljew sie erwartete. Pjotr Herrmannowitsch war mitgekommen. Erst jetzt hatte er erfahren, wofür die Bänder gewebt worden waren. Er war bei dieser Eröffnung ganz ruhig geblieben.
»Du hast einmal gesagt: Du mußt Salnikow sein. Stella, ich bin es! Hast du noch Angst?«
»Ja.«
»Nach fast acht Jahren? Nachdem unser Gamsat geboren ist?«
»Wer liebt, hat immer Angst«, sagte sie schlicht.
Man sprach nicht mehr darüber. Und man sah Pjotr nicht an, daß er oft an dieses Lager dachte. Der Krieg war nun seit fünf Jahren vorbei, und noch immer gab es Kriegsgefangene. Man nannte sie ›verurteilte Kriegsverbrecher‹. Pjotr konnte sich nicht erklären, warum sie dann nicht in Gefängnissen ihre Strafe abbüßten, sondern hier in Sibirien, in einem Lager, das niemand kannte.
Major Meteljew begrüßte alle sehr herzlich, war voll des Lobes für Stellas Arbeit und teilte als Überraschung mit, daß man im Lager ein Festessen für sie geben wolle. Wie ein kleiner König regierte er dort: unumschränkter Herr über eintausendeinhundert deutsche Gefangene und zweihundert Rotarmisten als Bewacher.
»Er ist ein menschlicher Soldat!« flüsterte Iwinin bei der Fahrt zum Lager Pjotr ins Ohr. »Sie sind alle Verbrecher, diese Faschisten, aber er behandelt sie human. Ein Musterlager! Du sollst sehen: Man wird uns servieren wie in einem Hotel. Er läßt die Bedienung sogar in weißen Jacken herumlaufen. Ja, ja, die Zentrale in Swerdlowsk ist weit.«
Salnikow nickte stumm. Aber sein Blut wurde immer unruhiger.
Das Lager sahen sie nur von außen: hohe Holzpalisaden, die besetzten Wachtürme, das große Tor. Es war geschlossen. Kein Außenkommando arbeitete außerhalb der Holzmauer – man hörte nur die immerwährende Musik, die den ganzen Tag aus großen Lautsprechern über die Baracken dröhnte.
Die Kommandantur lag vor dem Lager, hatte einen steinernen Sockel und war hellbraun gestrichen. Ein junger Leutnant begrüßte sie zackig, dann führte Major Meteljew galant Stella ins Haus. Pjotr folgte dicht hinter ihr; ihm war, als brauche er Stellas Nähe, um diesen Tag gut zu überstehen.
In einem großen Raum war der Tisch weiß gedeckt, Porzellangeschirr stand darauf, Weingläser funkelten, in der Mitte hatte man sogar Blumen drapiert.
Wahrhaft eine Festtafel!
Pjotr hob nicht den Blick. An den Wänden standen die Bedienungen – wie Iwinin gesagt hatte, in weißen Leinenjacken. Deutsche Kriegsgefangene. Die da standen, wirkten nicht verhungert oder vergrämt, aber es waren ja auch Auserwählte, die Glück gehabt hatten. Wie sahen die Verurteilten jenseits der Holzwand aus?
Neun sowjetische Offiziere standen stramm, als Meteljew das Zimmer betrat. Sie hatten sich hinter ihren Stühlen aufgestellt.
Und auch drei Deutsche standen am Tisch, in sauberen Uniformen, aber ohne Rangabzeichen.
Pjotr und Stella sahen ihn fast im gleichen Augenblick, und auch er hatte sie sofort bei ihrem Eintritt erkannt. In seinem Gesicht zuckte kein Muskel, sein Blick blieb neugierig-neutral. Er stand fast am Ende der Tafel, groß, schlank, etwas hagerer als früher. Aber sein schönes blondes Haar war ihm geblieben.
Major Meteljew war ein vollendeter Gastgeber. Er stellte Stella die anderen Gäste vor. Von einem zum anderen gingen sie und nickten einander zu. Auch die Deutschen wurden vorgestellt und verbeugten sich knapp.
Stabsarzt Dr. Schmude. Oberarzt Dr. Heilkamp. Unterarzt Ursbach …
»Es sind die besten Ärzte, die ich je erlebt habe!« sagte Meteljew stolz. »Auf mein Lagerkrankenhaus bin ich stolz! Bitte, nehmen Sie Platz.«
Pjotr saß während des Essens Ursbach schräg gegenüber. Ein paarmal blickten sie sich an, lange, mit den Augen sprechend, dann aßen sie weiter, tranken, brachten Trinksprüche auf die Rote Armee und Stalin aus und hörten einem Gesangsensemble zu, das aus Russen und Deutschen bestand und von einem deutschen Musiklehrer geleitet wurde.
»Ein wundervoller Tag«, sagte Stella später zu Major Meteljew. »Kann man das ganze Lager sehen?«
»Leider nein. Aber ich kann Ihnen die Küche zeigen, das Magazin, die Unterkünfte der Mannschaften.«
Pjotr blieb zurück. Er ging zu dem Lastwagen mit den Webballen und traf dort Ursbach, der den
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