Frauenbataillon
öffnet die blutdurchtränkte Uniformbluse und zieht sie wieder zu. Ein Granatsplitter hat die Brust zerfetzt; aus der Wunde quillt Lungengewebe. Wortlos öffnet er seine Tasche, holt eine Spritze heraus, kappt eine Ampulle und injiziert dem sterbenden Russen Morphin. Gemeinsam warten die beiden Ärzte, bis der verkrampfte Körper sich streckt. Dann bettet der Russe den Kopf des Verwundeten vorsichtig auf einen großen Ziegelstein und erhebt sich.
»Wir holen ihn nachher ab«, sagt er und blickt sich um. Überall trägt man Tote und Verwundete weg. Auf Bahren oder in Zeltplanen, auf dem Rücken, allein oder zu zweit, auf flachen Schlitten, vor die sich jeweils zwei Mann spannen – oder zwei Mädchen bei den Sowjets.
»Wir wollen auch die Toten mitnehmen.«
»Wir auch.«
»Sie sollen in ihrer Heimaterde ruhen.«
»Da habt ihr es besser als wir.«
»Wir sind hier zu Hause – und ihr seid gekommen, um uns zu töten.« Der sowjetische Arzt wischt sich über das Gesicht. »Wenn wir einmal nach Deutschland kommen, sind eure Toten auch zu Hause! Wie heißt du?«
»Felix Baumann.«
»Ich bin Sergeij Iwanowitsch Losskowskij. Wie alt bist du?«
»Dreiundzwanzig.«
»Ich auch. Ich wohne in Rybinsk an der Wolga.«
»Ich komme aus Detmold.«
»Ob wir uns wiedersehen?«
»Wenn wir den Krieg überleben … Ich merke es mir: Sergeij Losskowskij aus Rybinsk.«
»Felix Baumann aus Detmold. Was willst du nach dem Krieg werden?«
»Chirurg.«
»Ich Neurologe.« Losskowskij lächelt bitter. »Das hier ist keine gute Ausbildung dafür. Hast du eine Zigarette, Felix?«
»Aber ja.« Baumann greift in seinen Uniformrock und holt eine Schachtel hervor. Zerdrückt ist sie, verknittert und schmutzig. Sergeij holt mit den Fingerspitzen eine Zigarette heraus.
»Eine R6«, sagt er und lächelt wieder. »In der Stadt rauchen wir getrocknete Blätter.«
»Die Zigaretten hat mir meine Mutter geschickt.«
»Eine gute Mutter.« Losskowskij macht ein paar tiefe Züge und blickt über das Kampffeld. Auf dem Rest eines Hauses weht die Rot-Kreuz-Fahne. »Grüß sie von mir, wenn du wieder nach Hause kommst. Ich muß jetzt weiter, Felix. In einer Stunde läuft die Waffenruhe ab. Da hinten winken sie.« Noch einmal inhaliert er tief und wirft dann die Zigarette auf den Boden. »Auf Wiedersehen, Felix.«
»Auf Wiedersehen, Sergeij.«
Sie haben sich nie wiedergesehen.
Stalingrad. Ein sowjetischer Parlamentär, der, eine weiße Fahne schwenkend, über die Ruinen zum Bataillonsgefechtsstand der Deutschen geklettert ist, hat im Namen seines Kommandeurs um zwei Stunden Feuerpause gebeten. Nun tragen die Russen und die Deutschen ihre Toten fort, suchen in den Trümmern und Kellern, Granatlöchern und Hausruinen nach Gefallenen und Verwundeten.
Der Sanitätsunteroffizier Pawel Ignatjewitsch Taganjew hockt auf dem Rand eines aufgesprengten Kellers und wartet auf einen Trupp von Trägern. Auf der Suche hat er dieses Haus entdeckt und in ihm neun sowjetische Kameraden, die ein deutscher Minenvolltreffer im Keller zerfetzt hat. Das Gewirr von Gliedmaßen und Leibern, Köpfen und Stoffetzen bietet einen grauenhaften Anblick. Nur aufgrund der Köpfe, die er gezählt hat, weiß Taganjew, daß dort im Keller neun Rotarmisten liegen.
Pawel Ignatjewitsch ist es übel geworden. Er raucht jetzt eine Papirossa, lehnt sich gegen die zerborstene Hauswand und blickt nur kurz zur Seite, als zwei Meter neben ihm eine graue Gestalt in die Trümmer plumpst. Er hebt die Hand mit der Papirossa und grüßt stumm.
Der Sanitätsfeldwebel Hermann Brosser nickt Pawel Ignatjewitsch zu, setzt sich neben ihn auf den Mauerrest, wirft einen Blick in den Keller und sagt heiser:
»Ist das eine Scheiße, was? 'n ganzer Keller voll! Und diese Saukälte. Wie willste die denn abtransportieren? Die sind doch zu 'nem Klumpen zusammengefroren! Sag bloß, die willste auch noch auseinanderhacken! Am besten: Zuschütten!« Er schlägt die Arme um seinen Oberkörper, bläst in die Handflächen und sieht Pawel bedauernd an. »Kannst ja kein Deutsch! Woher denn auch? Schafhüter aus der Steppe, was? Da sitzte nun vor 'nem Haufen Toter und hältst Wache und weißt nicht, wohin damit. Das kommt davon, daß ihr mit soviel Mann anrückt. So was kann uns nicht passieren – unser Bataillon besteht noch aus 68 Mann! Wir hatten in drei Tagen nur vier Mann Verluste …«
»Bald alle tott!« sagt Pawel Ignatjewitsch hart.
»Du meine Fresse! Du quatscht deutsch?« Hermann Brosser schiebt den
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