Frauenbewegung und Feminismus - eine Geschichte seit 1789
gesagt, das Dilemma, die Zwänge und Zumutungen traditioneller Weiblichkeit und Geschlechterrollen abzulehnen, jedoch Frausein, Mütterlichkeit, d.h. weibliche Erfahrungen und Orientierungen, trotzdem zum Ausgangspunkt für eine emanzipatorische Politik und gleiche Staatsbürgerrechte zu machen. In Rechtsbegriffen ausgedrückt, ist es das scheinbare Paradox, auf dem Recht auf Gleichheit und gleichzeitig der Berücksichtigung und Anerkennung von Differenzen zu bestehen. Weil diese Schwierigkeit in Wollstonecrafts selbstbewussten Forderungen nach Gleichheit auch angesichts weiblicher Differenz am deutlichsten zum Ausdruck kommt, sprechen Feministinnen heute vom «Wollstonecraft-Dilemma» (Patemann 1989). Doch in der Frage, wie viel Gleichheit und wie viel Differenz zu mehr Geschlechtergerechtigkeit führen, schieden sich fortan immer wieder die Geister in Frauenbewegung und Politik.
Auswirkungen und Ende der Revolution
Es bleibt nachzutragen, was aus der Französischen Revolution und dem so viel versprechenden Aufbruch der Frauen zu selbstbestimmter Freiheit und Gleichheit geworden ist: Mit der Hinrichtung Olympe de Gouges’, der Madame Roland, der Königin Marie-Antoinette und zahlloser anderer im Herbst 1793 war die Revolution im Terror untergegangen. Ein Dekret der Revolutionsregierung im Dezember 1793 nannte die Schreckensherrschaft «den Krieg der Freiheit gegen ihre Feinde». Die antifeministische, ja misogyne Reaktion der Jakobiner aber hattesich bereits früher gezeigt, etwa als eine Frauendelegation der Sansculotten, die das Recht, die Kokarde zu tragen, durchsetzen wollte, vom Konvent mit einem Pfeifkonzert empfangen und ausgeschlossen wurde. Die Kokarde war seit Juli 1789 das Symbol der Staatsbürgerschaft, nun galt dieses Abzeichen für Frauen als «unschicklich», «schamlos», «sittenwidrig». Deshalb wurden Ende Oktober 1793 alle Frauenclubs verboten und später sogar jegliche Beteiligung von Frauen an politischen Versammlungen untersagt. Gleichzeitig wurden viele der neu gewonnenen Rechte wieder eingeschränkt. In den verschiedenen Gesetzentwürfen, die seit 1795 das neue Zivilgesetzbuch vorbereiteten, wurden nun wieder die weiblichen Tugenden und die besonderen häuslichen Pflichten zur Begründung der Einschränkung der Frauenrechte angeführt. «Man hat lange über den Vorrang oder die Gleichheit der beiden Geschlechter gestritten. Nichts ist unsinniger als ein solcher Streit … Die Natur hat sie verschieden gemacht … (und) liegt ihren Rechten und Pflichten zugrunde», räsonierte einer der Verfasser des Napoleonischen Zivilgesetzbuches, Jean-Etienne-Marie Portalis, ganz im Stil Rousseaus. Tatsächlich gipfelte der reaktionäre Patriarchalismus der bürgerlichen Revolutionäre in der Kodifikation des französischen Code civil, der 1804 in Kraft trat und überall in Europa als Meisterleistung liberaler Gesetzgebungskunst gepriesen wurde. Jedoch zeichnete sich sein Familienrecht, das in Frankreich im Wesentlichen bis zum Zweiten Weltkrieg in Kraft blieb, durch besondere Härte aus, da es die Ehefrau bei allen Rechtsgeschäften, auch im Verhältnis zu ihren Kindern, der Herrschaft und Gewalt des Mannes unterwarf. Ungleich waren auch die Voraussetzungen für eine Ehescheidung. Bis 1938 aber hatten nicht in der Ehe geborene Kinder, wenn der Vater sie nicht anerkannte, keinerlei Ansprüche und Rechte. Damit fiel das französische Zivilgesetzbuch hinter viele Rechtserrungenschaften sogar des Ancien Régime zurück und hat – wie die Rechtshistorikerin Marianne Weber kritisch anmerkte – «die Züge des mittelalterlichen Patriarchalismus am reinsten und längsten bewahrt».
2. Die Freiheitsbewegungen um die
1848er Revolution
Für die Geschichte Deutschlands und seinen holprigen Weg zu einer demokratischen Verfassung ist die 1848er Revolution ein markantes Datum. Das gilt auch für die Geschichte der deutschen Frauenbewegung, die sich um 1848 zum ersten Mal zu einer sozialen Bewegung formierte und an der Herstellung der neuen politischen Öffentlichkeit beteiligt war, indem sie ihre eigenen frauenspezifischen Interessen und Unrechtserfahrungen zur Sprache brachte. In der langen Phase politischer Restauration zwischen dem Wiener Kongress 1815 und den Märzereignissen hatte sich der Um- und Aufbruch in allen Bereichen des wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Lebens aufgestaut. Unter den Bedingungen der seit 1819 geltenden Karlsbader Beschlüsse, der Pressezensur und
Weitere Kostenlose Bücher