Frauenbewegung und Feminismus - eine Geschichte seit 1789
Verbindungen zu den europäischen Gelehrten der Zeit.
Ihr
Plädoyer für die Rechte der Frau
von 1792 adressiert Mary Wollstonecraft an den mit einem Gesetzentwurf zur nationalen Erziehung befassten französischen Konventsabgeordneten Talleyrand-Périgord mit der Aufforderung: «Die Vernunft verlangt, dass die Rechte der Frauen geachtet werden und schreit um
Gerechtigkeit
für die Hälfte des Menschengeschlechts» (Wollstonecraft 1975/1976 Bd. II, 23). Die Schrift ist eine kritische und leidenschaftliche Auseinandersetzung mit den zeitgenössischen Geschlechtertheorien und führt die Schriftsteller, die «die Frau als Gegenstand des Mitleids, fast der Verachtung» behandeln, ausführlich, manchmal recht weitschweifig vor. Ihre Kritik gilt insbesondere Jean-Jacques Rousseaus einflussreichem Erziehungsroman
Emile
(1762) und seiner aus der «Natur der Frau» abgeleiteten Doktrin, wonach die Frau «eigens dazu geschaffen» sei, «dem Mann zu gefallen». Sie nennt seine Theorie von der Ungleichheit der Geschlechter, die noch für viele Generationen von Pädagogen und Juristen Programm sein sollte, «ungereimte Chimären». Gerade weil sie der Erziehung für die Ausbildung von Vernunft und Moral und den Fortschritt der Gesellschaft einen so hohen Stellenwert beimaß, bestand sie darauf, dass Jungen und Mädchen die gleiche Erziehung genießen sollten, nicht zur Hebung der Moral oder zum allgemeinen Wohl, sondern als Menschenrecht. Sie kritisierte die Herrschaft des Mannes als «Tyrannei» – dahinter stand, ebenso wie in späteren «Rückforderungen» (
vindication
) der Frauenrechte in der Geschichte derFrauenbewegungen, der naturrechtliche Gedanke der von Geburt an gleichen Menschenrechte der Frauen, die ihnen unrechtmäßig streitig gemacht werden (vgl. Olympe de Gouges’ Frauenrechtserklärung, Art. IV, in dem sie unter dem Recht auf Freiheit fordert, «den Frauen zurückzugeben, was ihnen zusteht», vgl. auch die amerikanische Erklärung der Frauen von Seneca Falls 1848). Im Gegensatz zu de Gouges war Wollstonecrafts leitendes Rechtsprinzip jedoch nicht «Gleichheit», sondern das Recht der Frauen auf Unabhängigkeit und Selbstbestimmung. Denn sie schien die weibliche Bestimmung, ihre «von Natur aus größte Pflicht», «die Pflege der Kinder in ihrem frühesten Alter», nicht antasten zu wollen, betonte dabei aber: «Um eine gute Mutter zu sein, muss eine Frau gesunden Verstand haben … Die Frauen werden nie die ihrem Geschlecht eigentümlichen Pflichten erfüllen, solange sie nicht aufgeklärte Bürger sind, solange sie nicht frei sind, ihren Unterhalt selbständig zu verdienen, unabhängig von dem Mann, wie es ein Mann von einem anderen ist» (ebd. II, 96/112). D.h., sie beharrte darauf, dass die andere Lebensweise der Frauen anerkannt, berücksichtigt und lebbar wird. Diese Position der Differenz, die an unterschiedliche Geschlechterrollen anknüpft und der wir in der Geschichte der Frauenbewegung noch mehrmals begegnen werden, erschien den Gegnern der Frauenemanzipation immer weniger männerfeindlich, erträglicher, weshalb Wollstonecrafts Bekenntnis zum Mann als «Gefährten» oft zitiert wurde, jedoch auch irritiert hat: «Ich liebe den Mann als meinen Gefährten. Aber seine Herrschaft, sie sei rechtmäßig oder angemaßt, erkenne ich nur an, wenn seine Vernunft mir Hochachtung gebietet: und selbst dann unterwerfe ich mich nur der Vernunft, nicht dem Mann» (ebd. I, 87).
Ohne Zweifel ist Wollstonecrafts Text, der in der Geschichte der Frauenbewegung als Klassiker, als eines der frühesten Manifeste des neuzeitlichen Feminismus gilt, heute schwer zu lesen. Übersetzer, z.B. Salzmann 1793/94, haben ihre eigenen Kommentare und Stellungnahmen eingebracht. «Man stoße sich nicht an diesen starken Ausdrücken … man wird finden, dass es die Verfasserin nicht so bös meint. Sie verwirft nicht dieAbhängigkeit des Weibes vom Manne. Denn wie könnte sie das?» (zit. n. ebd. II, 35)
Vor diesem Hintergrund paternalistischen Wohlwollens und unverbesserlicher Rückständigkeit in den deutschen Verhältnissen ist schließlich ein weiterer Schriftsteller und «Sachwalter der Weiberwelt» zu erwähnen, der im Aufbruch der Französischen Revolution für die Frauen Partei ergriff: der Jurist, Freund und Tischgenosse Kants und hohe preußische Staatsbeamte (u.a. Oberbürgermeister von Königsberg)
Theodor Gottlieb von Hippel
(1741–1796). Seine 1792 zunächst anonym erschienene Schrift
Über die bürgerliche
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