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Freakshow

Freakshow

Titel: Freakshow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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halb sah ich ihn schon bei der morgendlichen Pillenausgabe erwartungsfroh in der Schlange stehen.
    Das Pflegepersonal war zumeist in Hellblau gekleidet und agierte mit der Ruhe und Gelassenheit, die man wohl braucht, wenn so gut wie jeder, mit dem man es den lieben langen Tag zu tun hat, entweder psychotisch ist oder dement.
    Ein Stück die Straße runter ging Alfred einem jungen Gärtner beim Heckenschneiden zur Hand. Das hieß, der junge Gärtner bediente in kühler Effizienz die rasselnde Motorschere, während Alfred schwitzend den Grünschnitt aufklaubte und auf einen Hänger hinter einem kleinen Trecker packte. Er tat so, als sähe er mich nicht, also rief ich seinen Namen, und er winkte flüchtig und senkte dann wieder den Blick auf seine Arbeit. Der junge Gärtner nickte mir kurz zu und ließ seine weißen Zähne aufblitzen dabei. Selbst auf die Distanz war ihm eine gewisse Herablassung anzumerken. Blond, braun, schlank, noch keine zwanzig, war er sichtlich angetan von seiner eigenen Erscheinung.
    Soll er doch, dachte ich milde und nickte mit gönnerhafter Jovialität zurück.
    Mal abgesehen von der beschränkten Quadratmeterzahl hatte das Apartment bei näherer Betrachtung einen weiteren, nicht unerheblichen Mangel: Es gab nur ein Bett. Mit einer sehr schmalen Matratze. »Macht doch nichts«, fand Scuzzi. »Penn ich eben, wenn du arbeitest. Und du kannst die Koje tagsüber haben.«
    »Während du dann arbeitest.«
    »Genau.« Er nickte ernsthaft. Scuzzi, muss man dazu wissen, empfindet es schon als Arbeit, eine Handvoll Granulat in eine Reihe kleiner Tüten zu löffeln. Davon abgesehen, hat er keine Ahnung, was das Wort bedeutet. Mein Diensthandy schreckte mich aus anthrazitfarbenen Gedanken. Es war der sich undefinierbar homosexuell anhörende Heini aus der Telefonzentrale. »Herr Kryszinski? Sie möchten sich bitte am Eingang des Mehrzwecksaals einfinden.«
    »Möchte ich?«, fragte ich. »Ja«, sagte er und unterbrach die Verbindung. Ihn und dieses Handy, das spürte ich, würde ich noch lieben lernen.
     
    »Technisch gesehen«, meinte Herr Haussmann, der Techniker in seiner grau, rot, weiß und reflektierend gestalteten Latzhose, »ist das jetzt nicht so unheimlich schwer.« Er zeigte mir einen Scanner, ähnlich denen an Baumarktkassen, nur schnurlos, und deutete auf ein rot glimmendes Birnchen an der Oberseite des Gerätes. »Rot bedeutet Betriebsbereitschaft«, erklärte er, sah mich an, und ich nickte. So weit kam ich noch ganz gut mit.
    Dann zog Herr Haussmann das Gerät über einen außen am Türrahmen des Mehrzwecksaals angebrachten Magnetstreifen. Die rote Birne verlosch, dafür leuchtete eine grüne auf, und das Gerät machte Up. »Eine erfolgreiche Scannung wird mit dem grünen Licht und einem Signalton angezeigt«, erklärte mein Instruktor, und ich signalisierte Verständnis. »Möchten Sie es einmal selber versuchen?«, fragte er und hielt mir das Gerät hin.
    »Klar doch«, sagte ich, griff zu, scannte, die Birnchen wechselten von Rot auf Grün, und das Ding machte Up.
    »Sehr gut«, fand mein Instruktor.
    »Und gleich beim ersten Mal«, staunte ich über mich selbst.
    »So weit haben Sie die Handhabung also verstanden?«, wollte er trotzdem wissen, und ich begann mich zu fragen, was für Genies er wohl für gewöhnlich unterwies. »Weitestgehend«, versicherte ich. »Gut. Mit jeder erfolgten Scannung speichert das Gerät Ort, Datum und Uhrzeit und ermöglicht damit eine lückenlose Kontrolle Ihrer Leistung«, erklärte er. »Sehr motivierend«, fand ich.
    »Jetzt zeige ich Ihnen noch Ihre Route und wo genau sich die einzelnen Magnetstreifen befinden.«
    »Toll«, sagte ich.
    »Unterwegs können Sie an der Wäscheausgabe auch Ihre neue Dienstkleidung anprobieren.«
    »Wild.«
     
    Ein Tieflader manövrierte sich langsam rückwärts auf die Baustelle, wo schon ein Abrissbagger auf ihn wartete. Beaufsichtigt wurde das Ganze von einer imposanten Gestalt in weißer Maurerkluft. Werner Jankowski. Ha. Mein alter Vorarbeiter. Zwei Jahre lang hat er mich drangsaliert, schikaniert, aber mir gleichzeitig auch Muskeln auf die Knochen gepackt und das Kreuz geradegerückt. Vor allem aber hat er mir das Jammern abgewöhnt. Allein dafür bin ich ihm auf ewig dankbar. »Werner«, sagte ich, »lass mich raten: Du hast das Rauchen drangegeben.« Zwei Schachteln Reval, halber Kasten Bier. Pro Schicht. So war das früher. Er grunzte. »Sieht man, wa?«
    »Steht dir aber gut«, versicherte ich. »Denk immer

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