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Freakshow

Freakshow

Titel: Freakshow Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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Aschenputtelrolle, die man ihr von Anfang an nicht abkauft. »Müde?«, fragte sie.
    »Bisschen«, gab ich zu. Kaffee prötschelte vor sich hin. Es war eine der ruhigen Stunden zwischen Mittagessen und Nachmittagskaffee, und wir hatten die Cafeteria für uns und Zeit, das am Rhein Gesagte und Getane zwischen uns knistern zu lassen.
    »Man sieht’s dir an«, meinte sie mit einem mitfühlenden Lächeln.
    So ganz allmählich kann ich’s echt nicht mehr hören, dachte ich.
    »Komm doch zum Rhein, nachher. Du kannst dich in den Schatten legen, und ich wache über deinen Schlaf, bis es Zeit wird für deine Schicht.«
    »Was für eine verlockende Idee«, seufzte ich und nahm die volle Kanne entgegen.
    »Also kommst du?« Sie sah mich abwartend an. »Vielleicht sogar in … Uniform?« Sie legte den Kopf schräg und biss sich auf die Unterlippe.
    »Ich wird’s versuchen«, versprach ich, meine Stimme ein wenig heiserer als gerade noch. Ich nahm die Kanne mit zurück zu meinem Wagen, dem einzigen Ort, an dem ich mich zurzeit einigermaßen sicher fühlte. Honka abzuhängen war noch nie ein Problem gewesen, er ist mehr Cruiser als Racer, doch er wusste, wo ich zu finden war, und es war überhaupt nicht abzuschätzen, wie weit er gehen würde, um sich seine Belohnung zu verdienen.
    Ich klappte den Rechner auf, rief Heckenpennes an für ein paar Instruktionen, wählte mich dann bei Google Earth ein und tippte die Adresse der Grotzkis in das kleine Fenster. Die Erdkugel wälzte sich ein Stück, und wir stürzten vom Himmel.
    Die Satellitenaufnahme vom Gehöft war schon etwas älter, wie mir klar wurde, als ich das längliche Wohnhaus identifizierte, hier noch ohne den bunkerähnlichen Anbau. Die angrenzenden Stallungen waren ebenfalls klar zu erkennen, doch dann wurde es etwas verschwommen, was einerseits auf recht viele, Schlagschatten werfende Baumkronen zurückzuführen war, andererseits auf eine chaotische Bebauung des Grundstücks mit Schuppen und Unterständen.
    Ich hatte im Grunde keine Ahnung, was eine Requisite ist und typischerweise beinhaltet, doch stellte ich sie mir in etwa wie das Lager einer Messebaufirma vor. Und dafür waren mir diese ganzen verstreuten Schuppen einfach zu klein.

Gleichzeitig muss so ein Lager mit dem Auto oder besser noch mit dem Lkw anfahrbar sein, und dieser Gedanke ließ mich dann sämtlichen Fahrwegen über den Grotzkischen Grund folgen. Eine dieser Zwillingsspuren endete unter den Kronen gleich mehrerer großer Laubbäume. Ich zoomte ein wenig hoch und runter, bis ohne Zweifel feststand, dass die Baumkronen ein größeres Rechteck überspannten, mit einer klar definierten Mittellinie, wie den First eines Dachs. Es befand sich am denkbar hintersten Ende des Grundstücks, zu weit, um es zu erreichen, ohne unterwegs aufgespießt, über den Haufen geschossen oder angezündet zu werden. Doch andererseits stand das Gebäude mit dem Rücken zu einem langen, schnurgeraden Strich, gefolgt von der baumlosen, streng rechtwinkligen Fläche einer rings um einen Hafenkai gruppierten Industrieanlage. Sie besaß ein eigenes, kleines Fensterchen. Ich klickte es an. >Duisburger Schwerlast-Industrieverladungen< las ich. Irgendwie, sagte ich mir, hört sich das nicht so an, als ob sie eine Nachtschicht hätten. Vielleicht noch nicht mal einen Wächter.
    Doch selbst wenn. Ich dachte an Frau Spirititolu. Und wie sie lachte.
     
    Es klopfte sachte auf das Wagendach, ich schreckte hoch, und Angelika Butzke, Alfreds Logopädin, lächelte mich durch meine fehlende Seitenscheibe erwartungsvoll an.
    »Schlags dir aus dem Kopf, Herzchen«, sagte ich zu ihr. »Ich stehe nur auf rappeldürre Schlampen mit haarigen Beinen und ‘nem Suchtproblem.«
    Nein, Scherz. Ich hatte gerade noch mit einem schwarzen Mahlstrom gerungen, der mich schlürfend zu verschlingen drohte, und schwieg nun verwirrt, wusste einen Moment lang nicht, wo ich war und was zu sagen. »Tut mir leid, Sie zu wecken«, sagte sie, weit vorgebeugt und mit einigem an Dekollete in ihrem nicht bis oben geknöpften weißen Kittel. »Aber mit Alfred geht es mir im Moment ganz ähnlich. Wir machen die Entspannungsübungen, und er schläft einfach ein. Zwischendurch hab ich schon überlegt, ob ich mir nicht vielleicht auch ein Nachtleben zulegen sollte. Doch dann sehe ich Sie an und sage mir, dass ein geregelter Tagesablauf durchaus seine Vorteile hat.«
    »Das Böse schläft auch nicht«, grummelte ich, um sie zu beeindrucken, und sie zog ein schuldbewusstes

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