Freakshow
Gesicht. »Okay, meine Bemerkung war vielleicht ein bisschen gemein«, gab sie zu. »Sie schlagen sich Ihre Nächte ja nicht zum Vergnügen um die Ohren. Eigentlich wollte ich Ihnen auch nur sagen, dass ich weiterhin versuche, Alfred zu den Vorkommnissen der letzten Zeit zu befragen. Speziell zu den Kinderfußabdrücken in diesem gruseligen Keller. Und ich spüre, dass ihn das belastet. Ich denke, er wird sich mir früher oder später anvertrauen.«
Ich bat darum, sofort benachrichtigt zu werden, und bedankte mich bei ihr. Sie richtete sich auf, drehte sich um und musste kurz warten, um Gärtner Jacob vorbeizulassen, in einem Bobcat, die Schaufel voll Torf. Erst sah ich Angelika Butzkes wiegenden Hüften hinterher, dann, plötzlich wach, Jacob in seinem brummenden Vehikel. Ein Bobcat ist nichts anderes als ein kleiner Radlader.
Und ein Radlader ist ein Radlader ist ein Radlader, um Gertrude Stein endlich einmal die längst fällige Referenz zu erweisen.
Will sagen: Kannst du einen fahren, kannst du alle fahren.
Das Handy vibrierte in meiner Hosentasche, und ich fummelte es heraus. Es war Heckenpennes. »Wir haben Peelaert gefunden, Kristof. In Kambodscha. Um genau zu sein, in Phnom Penh. Um noch genauer zu sein, in - halt dich fest - einem Angestellten-Register der kambodschanischen Polizei.« Das ging mir zu schnell. Da musste ich mich verhört haben. Ich sagte: »Sag das noch mal.«
»Wir haben das Netz von ganz Indochina nach Fotos von Benjamin Peelaert abgegrast. Er ist - unter dem vermutlich angeheirateten Namen Samphan - bei der kambodschanischen Fremdenpolizei angestellt. Zuständig für die Kontrolle ausländischer Hilfsorganisationen. Unicef, zum Beispiel. Kinderdörfer, Schulen, Waisenhäuser.«
Das musste ich einen Augenblick sacken lassen. »Wie kann so was geschehen?«, brach es schließlich aus mir heraus. »Wie kann das sein? Der Mann wird mit internationalem Haftbefehl gesucht.«
»Tja«, machte Heckenpennes. »Da bin ich genauso ratlos wie du. Korruption, Protektion durch Gleichgesinnte?« Gleichgesinnte. Man muss sich einmal vorstellen, dass es das gibt, dass das eine Szene ist, die sich untereinander austauscht und gegenseitig unterstützt. Kastrieren und blenden, um es mit Dürrenmatt zu sagen.
»In Phnom Penh können wir ihm nichts«, dachte ich laut. »Er sucht doch nach diesem Jungen …«, meinte Heckenpennes nachdenklich. »Warum kommst du nicht her, und wir lassen uns etwas einfallen?«
»Bin unterwegs.«
»Jetzt kuck nicht so skeptisch. Wenn wir Onkel Ben aus dem Verkehr ziehen wollen, müssen wir ihn nach Europa zurückholen. Mit Gewalt geht es nicht, also bleibt uns nur das …« Heckenpennes zeigte auf seinen Monitor, auf die kunstvoll erstellte Montage von Yogindas Gesicht mit dem nackten Körper eines ungefähr gleichaltrigen, dunkelhäutigen Jungen. »Wenn wir ihn nicht zwingen können, müssen wir ihn eben locken.« Heckenpennes hatte das Foto in derselben Tauschbörse postiert, in der auch Peelaert seine Aktivitäten zur Schau stellte.
Erst auf den zweiten Blick sah man im Hintergrund an der Wand, vor der der nackte Knabe posierte, ein Fußballposter mit Mannschaft und Emblem der Sportfreunde Marxloh. Das nur für den Fall, dass Peelaert die Falle wittern und eine Kontaktaufnahme scheuen sollte.
Oder sich die Vermittlungsgebühr sparen wollte. Um einen zu fangen, muss man denken wie einer, und das war in diesem Fall kein gesunder Vorgang. Ich selbst hatte den Text beigesteuert. >Unschuldiger Knabe wartet ungeduldig auf seine Defloration durch erfahrenen Connaisseur<.
»Ich denke mal, solange mir so was den Magen umdreht, bin ich noch nicht zum Zyniker geworden«, sagte ich. »Ach, Unsinn. Das zeigt nur, was für einen schwachen Magen du hast. Sieh mal, wir haben schon einunddreißig Klicks.«
Dr. Korthner kam mir aus dem Haupteingang des Krankenhauses entgegen, in Zivil, grüßte flüchtig und bog Richtung Parkplatz ab. Ich holte ihn ein, und wir gingen ein Stück nebeneinander her.
»Saubere Fraktur, ganz sauber gesetzt, ich brauchte sie nur zu schienen«, sagte er und stoppte kurz, zog eine Bierdose aus der Innentasche seines Jacketts und riss sie auf. »Feierabend«, erklärte er. »Einschlafhilfe.« Und er trank in langen, dankbaren Zügen. »Wer immer Ihrem Freund den Finger gebrochen hat«, fuhr er nach einem Rülpser sachlich fort, »versteht sein Handwerk.«
»Schön zu wissen«, fand ich. »Ich wollte Sie etwas fragen«, sagte ich dann, »doch
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