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Freddy - Fremde Orte - Blick

Freddy - Fremde Orte - Blick

Titel: Freddy - Fremde Orte - Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Clauß
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Fabrik und waren vor Staub fast blind. Der Hintereingang war ein breites Eisentor mit zwei Flügeln. Es stand schon eine Handbreit offen, ein altes Vorhängeschloss pendelte nutzlos an einem Riegel hin und her, als Madoka an der Tür zog und das Tor weiter öffnete.
    „Wir hätten an eine Taschenlampe denken sollen“, meinte Melanie. Sie reckte den Hals und spähte in das Halbdunkel hinter dem Tor.
    „Keine Sorge.“ Madoka zog eine kleine Stablampe aus der Handtasche, die sie bei sich trug. „Für die oberen Stockwerke werden wir sie kaum brauchen. Da gibt es ausreichend Licht. Nur im Keller könnte es ziemlich finster werden. Also, rein mit dir, ehe uns noch jemand sieht!“
    Melanie machte zwei Schritte ins Innere, und Madoka schloss das Tor hinter ihr so weit, bis es von außen so aussehen musste wie zuvor. Staubwolken wallten unter ihren Füßen auf. Wenigstens schien es keine Tiere hier zu geben, keine Ratten oder Insekten. Offenbar gab es für Ungeziefer nichts zu holen.
    „Achte auf den Fußboden“, warnte Madoka. „Es gibt manchmal Risse, ausgelöst durch Erdbeben oder Feuchtigkeit. Unter uns ist kein massiver Stein. Das sind nur Holz- und Kunststoffböden. Du solltest dich auch nicht gegen eine Wand lehnen. Wenn du Pech hast, stürzt sie ein.“
    Melanie lachte hysterisch auf. „Wenn das so ist, wer garantiert mir dann, dass nicht das ganze Haus auf uns herunterkommt?“
    Madoka antwortete nichts.
    Sie öffneten Türen und blickten in Räume. Es war keine Schwierigkeit, die einstigen Funktionen der einzelnen Zimmer zu unterscheiden, denn hier hatte in den letzten acht Jahren niemand aufgeräumt. Die Klinik war überhastet geschlossen worden – diese Tatsache stand in jedem Raum geschrieben. Die ehemaligen Patientenzimmer hatten noch ihre Betten. Melanie starrte mit unguten Gefühlen auf Fixiergurte und Zwangsjacken, die sich in den offenen Schränken stapelten oder auf den Matratzen lagen. Brauner Schimmel hatte sich überall breitgemacht, hatte die Laken befallen und mit Flecken versehen, die wie ausgebleichtes Blut wirkten. Kopfkissen lagen auf dem Boden, daneben Aufschriebe, Krankenkarten, Kunststoffhandschuhe. Die winzigen Fenster waren mit engen Gittern versehen, die kahlen Wände abstoßend und schmucklos. In einem der Räume stolperte sie über eine Bettpfanne, in der eine schlammige Flüssigkeit schwappte, woanders war ein Stück aus der Wand herausgebrochen, durch das man ins Nebenzimmer sehen konnte. Die furchtbare Vision, das könne alles vorher schon so gewesen sein, die Patienten könnten unter diesen unmenschlichen Bedingungen gelebt haben, schlich hartnäckig hinter ihr her, doch sie wagte nicht, eine entsprechende Frage zu stellen.
    Sie fanden auch Lagerräume vor, mit sauber geplätteten, unbenutzten Nachthemden, Rollstühlen voller Spinnweben und medizinischen Geräten, die bestimmt ein kleines Vermögen wert waren.
    Am meisten setzten Melanie die Überwachungskameras zu. Kleine, eiförmige Objekte, die an den Decken hingen, einige im Korridor, einige in den Patientenräumen. Die Lämpchen an der Unterseite waren erloschen, und doch sorgten sie dafür, dass man sich beobachtet vorkam. Überall entdeckte man welche, und wenn man den Blick von ihnen nahm, dachte man, sie würden einen verfolgen.
    In dem schmalen Flur versperrten immer wieder kleine rollbare Schränke den Weg. Einige von ihnen waren umgekippt und blockierten den Durchgang, andere standen mit aufgerissenen Türen da. Tausenderlei Gegenstände waren über den Boden verstreut, und Melanie betete, dass sie in keine Kanüle trat, die zufällig aufrecht im Boden steckte. Das schlimme war, dass man das Gefühl nicht loswurde, in der Eile des Aufbruchs könnten auch ein paar der Patienten vergessen worden sein. Melanie war nicht gerade schreckhaft, aber sie wusste nicht, ob sie den Anblick einer ans Bett festgeschnallten Leiche ertragen würde, die vielleicht noch die Hand an der Schnur mit dem Schwesternruf hatte …
    „Gibt es nicht irgendjemanden, der so etwas aufräumt?“
    „Natürlich“, erwiderte Madoka. „Wenn ihn jemand ruft und bezahlt.“
    „Aber kümmert sich die Stadt nicht darum?“
    „Vielleicht ist es unser Glück, dass sie das noch nicht getan hat.“ Madoka hatte eine weitere Tür mit dem Fuß aufgestoßen, und diesmal hatten sie es weder mit einem Krankenzimmer noch mit einem Lagerraum zu tun. Ein wuchtiger Schreibtisch nahm die Hälfte des Raumes ein, und darauf lag ein zerschmetterter Stuhl. Die

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