Frederikes Hoellenfahrt
seine Kräfte heran. »Herr Ehrlicher, sie werden verkabelt.« Zwei Tontechniker stürzten auf Bruno zu, baten ihn, sein Jackett abzulegen, Hemd und Hose zu öffnen. »Es muss sein.« Dann durchzogen sie ihn mit Draht und reichten ihm eine Lederjacke. Sie trug sich sehr schwer. »Darin sind Akku und Antenne integriert«, erklärte der Chef, »nicht ablegen, Ehrlicher, sonst reißt unsere Verbindung, Ihre Lebensversicherung.«
Ehrlicher glaubte sich auf einem Filmset, und er war der Hauptdarsteller. Assistenten hantierten mit Kabeln, Telefonen und Technik. Statisten wirbelten um ihn herum. Die weibliche Heldin stand mitten im Licht und schmachtete ihn an. Agnes Schabowski sah aus, als täte sie es wirklich. Aber er war weder de Niro noch Alain Delon noch Tatorf-Kommissar. Er war Ehrlicher, Bruno Ehrlicher, Rentner. Frederike und Kain! »Keine Frage. Ich versuche mein Bestes.«
»Versuchen Sie alles, Ehrlicher, dass die Täter Sie im Auto als Fahrer mitnehmen, als Geisel, egal. Egal. Hauptsache: Sie sind dabei!« Agnes Schabowski hatte wieder die Leitung übernommen, Miersch saß verloren am Tisch und trank Kaffee.
Die SEK-Kräfte ließen von ihm ab und begutachteten ihn. Ehrlicher war es peinlich. Er schwitzte. Jetzt war er verkabelt, ein technisches Meisterstück. Aber die verkabelte Lederjacke lastete schwer auf ihm. Der Mann vom SEK schien ihm diesen Einsatz zu neiden. Bruno fühlte sich unwohl.
»Vor allem, Ehrlicher, sorgen Sie für die Befreiung der Geiseln. Bieten Sie sich zum Austausch.« Agnes Schabowski dozierte. Er kannte die Verhaltensregeln.
»Rufen Sie an und klären Sie das weitere Vorgehen. Danke, Ehrlicher, danke!« Der SEK-Chef klopfte ihm auf die Schultern. »Machen Sie’s gut! Wir sind an Ihrer Seite! Immer!«
Auch Agnes Schabowski trat auf ihn zu. Nur Konstantin Miersch schien das alles nicht zu gefallen.
Bruno Ehrlicher nahm das Handy wieder vom Tisch und drückte die Taste der Wahlwiederholung. »Gott sei Dank, Frederike!« Sie war es wirklich. »Ich fahre den Wagen jetzt vor.« Er sprach wie Derrick, nur saß er selber am Steuer, kein Fernsehkommissar, der zu einem Tatort fuhr. Ehrlicher fuhr zur Schlachtbank. Er selbst war das Opfer, um zwanzig Leben zu retten.
»Frederike, die Geiseln müssen freikommen. Ich biete mich ihnen zum Austausch an. Sag ihnen das, Frederike. Sie müssen die Geiseln freilassen. Auch dich und Kain.« Agnes Schabowski, Michalk, der Chef des SEK und auch Miersch hörten gebannt zu. Manchmal flüsterten sie Anweisungen. Ehrlicher wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Ja, ich komme allein. Ja, ich stelle die Million auf den Beifahrersitz. Ja, in zehn Minuten. Wir vergleichen die Uhren.« Alle konsultierten die Zifferblätter ihrer Armbanduhren. »Exakt 3 Uhr 30 stehe ich vor dem Eingang … Dann komme ich zu euch in den Waschsalon … Bis gleich … Ja, Frederike, ich liebe dich auch.« War wirklich er das, der sprach, Bruno Ehrlicher? Ja, Frederike, ich liebe dich auch!
»Dann läuft ab jetzt der Countdown.« Konstantin Miersch sprang plötzlich auf und begann rückwärts zu zählen. »Noch acht Minuten dreißig Zeit. Pack mer’s, meine Dame und meine Herren.« Plötzlich hatte der Direktor die Führung wieder inne und tat, als hätte er sie nie abgegeben. »Frau Kollegin, sie kümmern sich um die Zeugen!«
Agnes Schabowski fehlten die Worte. Sie atmete durch. Einmal. Zweimal. Bruno verstand sie. Er schlang die Lederjacke enger um seinen Körper. Ihm war kalt. Zuerst das Leben der Geiseln, dann das eigene.
3:20
»Sie kümmern sich um die Zeugen!«
Agnes Schabowski erstarrte. Sie kümmern sich um die Zeugen! Mehr sagte Miersch nicht, stand auf und schob Bruno Ehrlicher vor sich her.
Agnes Schabowski atmete ein und zählte bis zehn. Beinahe hatte sie ihre Stimme im Griff. »Die verletzte Geisel liegt im Krankenhaus, ihr Zustand lässt eine Befragung nicht zu.«
Miersch blickte sie an. »Aber im BARocko haben doch Zeugen die Täter gesehen! Von ihnen brauchen wir die Beschreibung.«
»Sie konnten bislang nicht viel sagen.«
»Eben: bislang. Denen fällt noch was ein. Ich bin mir sicher.« Miersch lächelte, als hätte es keine Differenzen gegeben. Der Direktor wandte sich Ehrlicher zu. Agnes Schabowski war draußen, endgültig draußen.
Bruno Ehrlicher zog an seiner Lederjacke. Er sah aus wie ein geborgter Rambo in der Lindenstraße. Fehlbesetzung. Der alte Kommissar nickte ihr zu. Vielleicht aus Mitleid, wahrscheinlich aber, weil auch er Agnes
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