Frederikes Hoellenfahrt
Zeugen Kreuzpointner, Sziegoleit und der Kerl mit der blonden Bürste bei ihren Kollegen die Protokolle noch nicht unterzeichnet hatten und immer noch im BARocko saßen. Patricia Thede versah bestimmt noch ihren Dienst hinter der Bar. Sie würde sie alle noch einmal fragen. Sie hatte das entscheidende Detail bislang nur überhört. Schwarze Masken, genauso wie sie die in den Pornos tragen, wenn sie auf nackte Hintern die Peitschen schwingen, gab es in jedem einschlägigen Laden. Massenprodukte. Aber was hatte Vera Kreuzpointner gesagt: Vielleicht saß der doch schon einmal chier an der Bar. Und alle hatten einen Pickel unter den dicken Lippen beschrieben. Wahrscheinlich blieb die eindeutige Identifikation ein vergebliches Unterfangen. Aber eine genaue Beschreibung, die zur Fahndung gegeben werden konnte, müsste sie erhalten. Agnes Schabowski fasste Mut. Hier hatte sie ohnehin nichts mehr zu melden.
Alle Geräusche verstummten, oder es kam Agnes Schabowski so vor. Sie sah aus dem Fenster. Im Schritttempo rollte der rote VW vor den Waschsalon. Bruno Ehrlicher stieg aus und hielt den Koffer mit der Million in der Hand. Demonstrativ lief er um das Auto herum, öffnete die Wagentür und legte mit großer Geste den Koffer auf den Beifahrersitz. Agnes Schabowski wusste, dass die Kidnapper sein Tun genauso beobachteten wie sie hier aus dem Suppengrün. Wer waren diese Männer? Was hatten sie vor?
Bruno Ehrlicher schloss die Beifahrertür mit einem lauten Knall, der wie ein Schuss die Stille durchbrach. Dann klopfte er an die Scheibe des Waschsalons. Er stand im gleißenden Licht. Nichts geschah. Es war wie die Szene in einem Science-Fiction-Film. Agnes Schabowski sah keine der Geiseln. Ehrlicher klopfte und rief: »Frederike! Kain!« Keine Antwort. Keine Regung. Als wäre die Zeit stehen geblieben. »Frederike! Kain!«
Agnes Schabowski verließ das Lokal durch den Hinterausgang.
3:20
Er konnte Frederike nicht retten. Er saß reglos auf einem Kneipenstuhl. Die Fesseln schnitten ins Fleisch. Er sah, wie die dicken Lippen die Pistole hielten. Zehn Zentimeter, fünf, vor Frederikes Stirn. Kain war machtlos, bewegte tonlos seine Lippen. »Das Auto fährt vor.«
Er musste sprechen. Menschen in Ausnahmesituationen sollte man in ein Gespräch verwickeln. In Filmen wurden die Pistolen am Ende mit großer Geste in vernünftige Hände gelegt. Kain war gefesselt, er konnte das nicht übernehmen. Und die Maske mit den dicken Lippen dachte nicht daran aufzugeben. Frederike hatte ihre Augen geschlossen.
»Wir hätten wirklich einen Mercedes bestellen sollen. VW ist gewöhnlich. Mercedes ist schneller. Und erst ein Porsche.« Der Kleine am Fenster betrachtete die Situation immer mehr als ein Spiel, das sie nicht verlieren konnten. »Mann, echt, Tempo zweihundert und wir sind in null Komma nix bei meinem Bruder. Der hat uns immer beschützt, hat Rat gewusst, für ihn wäre auch das hier null Problemo.« Er klang begeistert.
»Hör auf zu quatschen. Dein Bruder ist nicht hier, lebt im Kosovo.«
»Eben.«
Kain atmete durch. Die dicken Lippen hatten ihre Konzentration verloren, zielten nicht mehr genau auf Frederikes Kopf. Sie bemerkte es nicht. Die Masken machten Pläne. Endlos konnten die beiden im Waschsalon nicht bleiben. Sie fühlten sich augenscheinlich in die Enge getrieben und wollten raus. Sie würden sich den Weg auch freischießen, ob in den Kosovo, zum Nordkap oder nach Treben-Lehma. Sie hatten kein Ziel. Diese Aktion war nicht geplant und machte sie umso gefährlicher. Unvermittelt kam Kain ein Satz in den Sinn, den er das letzte Mal in seiner Ausbildung gehört hatte. Bei einer Geiselnahme im weiteren Sinn wird zwischen der erpresserischen Entführung, der Flugzeugentführung, der sonstigen politisch motivierten Geiselnahme, der Geiselnahme beim Bankraub und der Fluchtgeiselnahme unterschieden, wobei sich die Formen häufig überschneiden. Definitionen helfen im Konkreten nicht weiter. Kains Gedanken überschlugen sich: Frederike, Fesseln und Flucht, Deeskalationslehrgänge, Waschsalon, Pistolen, Bruno, das SEK, Miersch …
»Mein Bruder wird uns helfen. Er hat mir immer geholfen.«
»Der wird sich für deine Scheiße bedanken.«
»Weißt du was Bessres?«
Kain zwang sich zu klarem Kopf. Die Lippen brachten die Pistole wieder in Stellung. Frederike hechelte. Schweißperlen rannen. Ihre Finger umkrampften die Theke. Ihre Knöchel traten weiß hervor. Zwei Fingernägel waren abgebrochen. Kain sah sie wie unter
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