FreeBook Das Geheimnis von Mikosma - Geblendet
Angst konnte Leandra sich nicht bewegen. Erst die Rufe von Henry und Luca lösten ihre Verkrampfung. Sie rannten über den harten Pflasterboden und kamen atemlos vor Leandra zum Stehen.
Zu Leandras Unbehagen gesellte sich Francesca ebenfalls dazu und fragte: »Warum hast du mit Jenny gestritten? Was hast du zu ihr gesagt, dass sie weinend davongelaufen ist?«
»Die Frage passt zu dir, Verräterin«, zischte Leandra angriffslustig.
»Was ist zwischen euch vorgefallen?«, versuchte Henry die Frage neutraler zu formulieren.
Leandra fixierte Francesca mit funkelnden Augen und antwortete schnippisch: »Ob du es glauben willst oder nicht: Jenny hat einen Streit provoziert und ich habe ihr ins Gesicht gesagt, für wie böse und gemein ich sie halte. Ist das in Ordnung für dich? Nicht ich, sondern sie hat mich angegriffen und zutiefst beleidigt!«
Francesca hob wegen des aggressiven Tons die Augenbrauen und trat einen Schritt zurück. Leandras Gesicht zeigte nicht mehr die sanften Züge, während sie auf Francesca einschimpfte. Luca, der sich sichtlich nicht wohl in seiner Haut fühlte, versuchte zu schlichten.
»Meine Schwester dachte doch nur, dass Jenny wieder etwas Schreckliches passiert ist. Deswegen brauchst du sie doch nicht so anzuschreien«, sagte Luca ruhig.
»Ihr seid doch alle Lügner und Heuchler! So einfach stellt ihr euch gegen mich? Nur weil eine kleine, hysterische, verzogene Göre eine bühnenreife Show abzieht, seht ihr in mir die Verräterin? Fragt ihr euch beide nicht, warum Francesca plötzlich so großes Interesse an mir hat, dass sie uns auf Schritt und Tritt folgt?«, giftete Leandra Luca an und wandte sich Henry zu. »Sie will mich ausspioniern! Und seid doch mal ehrlich: Ihr glaubt doch auch, dass ich für den Ausbruch des Fiebers verantwortlich bin. Was soll also dieses Gerede von Freundschaft? Lasst mich in Zukunft in Ruhe und kümmert euch lieber um das freche Biest Jenny!«
Leandra schrie diese Worte so verbittert aus, dass Henry einen Schritt zurückwich. Er kannte dieses Mädchen nicht, das jetzt vor ihm stand und so böse Worte sprach. Henry hob seine Hand und wollte sie Leandra auf die Schulter legen. Sie schlug diese jedoch mit voller Kraft zur Seite und hob abwehrend die Hände. Luca und Francesca standen mit offenen Mündern vor ihr und schüttelten immer wieder ungläubig die Köpfe.
»Ich pfeife auf eure Freundschaft!«
Weil Leandra so in Fahrt war, schrie sie diese Worte, die sie insgeheim jetzt schon bereute, mit voller Kraft heraus und lief weinend davon. Leandra rannte an den kleinen, windschiefen Häuschen vorbei, ohne sich noch einmal umzudrehen. Viel zu sehr schämte sie sich für ihre gemeinen Sätze. Eine solche Behandlung hatten Luca und Henry nicht verdient, aber Jennys Worte und Mikowskys Schadenfreude schmerzten so stark in der Seele, dass sie ihrem Kummer nicht anders Ausdruck verleihen konnte. Als ihr Fluchtweg wegen des dichten Gedränges der Kinder auf der Straße zu enden schien, zwängte sie sich durch die Massen hindurch und versetzte dabei dem einen oder anderen Kind einen heftigen Stoß. Diese starrten Leandra entsetzt an, denn ihr Anblick hatte etwas Beängstigendes. Das verschwitzte Haar klebte ihr im Gesicht, der Schweiß rann ihr von der Stirn und durch die vielen Tränen waren ihre Augen geschwollen. Der Rotz hing ihr aus der Nase und tropfte auf das T-Shirt, das ihr nass am Leib hing.
»Für sie bin ich die Verräterin«, dachte sie verbittert.
Sie griff einen kleinen Jungen, der ihr im Weg stand, an den Oberarmen, schüttelte ihn kräftig und rief: »Ja, du hast Recht! In euren Augen ist das Urteil über mich schon gefallen! Ihr glaubt doch alle, dass ich schuld am Ausbruch des Peppep-Fiebers bin! Ihr seid alle Feiglinge! Anstatt mit mir zu reden, straft ihr mich mit Missachtung und Schweigen!«
Erschrocken blickte das Kind sie an. Um die beiden herum hatte sich ein Kreis Neugieriger gebildet. Es war mucksmäuschenstill. Leandra ließ den verängstigten Jungen los. Einige Kinder traten plötzlich einen Schritt zur Seite, sodass sich eine Gasse zwischen ihnen bildete. Sie hatten einen Fluchtweg für Leandra gebildet. Sie verstand diese Geste und lief gehetzt los.
»Sie wollen mich loshaben«, wimmerte sie leise, während sie durch den schier nicht endenden Gang der Kinder hindurchlief.
Sie drehte sich erst um, als sie sicher war, das Zentrum von Mikosma hinter sich gelassen zu haben. Ihr Herz war tieftraurig, sodass es schwer wie ein
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