freeBook Kein Espresso fuer Commissario Luciani
öffnete die Tür und stieg völlig belemmert aus. Innerhalb weniger Stunden hatte er alles
verloren.
Er ging zu Fuß nach Hause. Zu seiner Verwunderung waren keine Journalisten da, offensichtlich nahmen sie spät |361| die Arbeit auf, oder vielleicht suchten sie in Polizeipräsidium oder Kaserne nach ihm. Er drückte sich an der Mauer entlang
und versuchte, den Blicken der Ladenbesitzer und den Fragen der Nachbarn auszuweichen, dann lief er schnell die Treppe hoch,
betrat seine Wohnung und kontrollierte flüchtig die Räume – alles schien unverändert. Kurz darauf kam der Neapolitaner aus
dem ersten Stock und bestätigte, daß niemand die Wohnung betreten hatte. Marco Luciani brauchte eine Weile, um ihn loszuwerden,
dann war er endlich allein. Er schloß die Fensterläden und blieb stundenlang im Dunkeln auf dem Sofa liegen. Er hatte nicht
einmal die Kraft, die Stereoanlage anzustellen. Oft klingelte das Telefon, und manchmal sprach jemand, vor allem Journalisten,
auf den Anrufbeantworter oder an der Gegensprechanlage. Mehrmals hörte er Sofias Lannis Stimme, die besorgt klang und eine
Erklärung verlangte, sie sagte, sie müsse noch einen Tag länger wegbleiben und bat um Rückruf, doch er hatte nicht die Kraft,
ranzugehen. Er hoffte vergeblich, das Baffigo anrufen würde, und er fühlte sich schuldig, weil er ihn nicht in der Klinik
besucht hatte.
Er blieb liegen und betrachtete das Tageslicht, das immer grellere, wärmere Strahlen durch die Ritzen der Fensterläden schickte,
er hörte die Stimmen auf der Straße, den Lärm der Motorräder, die Sirenen von Rettungswagen, bis das Licht wieder nachließ
und kühler wurde. Gegen Abend, er wußte nicht, wann genau, rief Iannece in Giampieris Namen an. Luciani solle am nächsten
Morgen gegen elf im Büro vorbeikommen und sein Urlaubsgesuch einreichen. Spät in der Nacht, als auf der Straße auch die Stimme
des letzten Betrunkenen verhallt war, schlief er ein.
|362| Donnerstag
Punkt elf erschien er im Präsidium. Iannece erwartete ihn vor seinem Büro mit einer Miene, als wäre er auf einer Beerdigung:
»Guten Tag, Herr Kommissar. Ich habe gestern versucht, Sie zu erreichen, aber dann wurde mir klar, daß Sie keine Lust hatten,
ans Telefon zu gehen. Oder liege ich da falsch?«
»Du liegst nicht falsch.«
»Sie haben damals einen Fehler gemacht, Herr Kommissar. Den Schiedsrichter nach dem Spiel zu verprügeln. Wenn Sie diese Genugtuung
brauchten, dann hätten Sie sich eine Strumpfmaske überziehen und ihn vor seinem Haus abpassen sollen, um ihm die Gräten zu
brechen.«
Marco Luciani lächelte: »Da hast du wahrscheinlich recht. Ist Nicola in seinem Büro?«
»Nein, er ist im Besprechungszimmer. Er sagte, wir sollen nachkommen.«
Um diese Zeit fanden gewöhnlich keine Besprechungen statt, aber als Luciani die Tür öffnete, sah er, daß das Zimmer gerammelt
voll war. Nicht nur die Kollegen von der Mordkommission waren da, sondern das gesamte Überfallkommando, die Kriminaltechniker
und mehrere Kollegen von Streife und Kriminalpolizei. Einen Moment lang fürchtete er, Giampieri habe für ihn eine Art Schauprozeß
inszeniert, wolle ihn vor der gesamten Genueser Polizei, deren Ansehen Luciani befleckt hatte, an den Pranger stellen. Statt
dessen löste sein Erscheinen freudigen Jubel und spontanen Beifall aus, viele Kollegen eilten herbei, um ihm die Hand zu schütteln
oder auf die Schulter zu klopfen: |363| »Wir stehen zu Ihnen, Herr Kommissar.« – »Das ist eine Sauerei, was mit Ihnen passiert.« – »Die werden dafür bezahlen.«
Giampieri ließ seinen Blick lange auf Marco Luciani ruhen, er schien überhaupt nicht mehr beleidigt oder verstimmt. Wortlos
reichte er dem Kommissar die Hand, dann schob er ihn hinter den Schreibtisch, von dem aus Luciani gewöhnlich den Stand der
Ermittlungen illustrierte oder Anweisungen gab. Der Kommissar ließ seinen Blick über die kleine Versammlung schweifen, er
merkte zum ersten Mal, wieviel Zuneigung ihm diese Leute entgegenbrachten und wie wenig er diese Zuneigung erwidert hatte.
Er dachte, daß er tief in ihrer Schuld stand.
Mit leiser Stimme erklärte er, daß er gezwungen sei, ein paar Tage Urlaub zu nehmen, und daß er wohl kaum auf seinen Posten
zurückkehren werde. Von nun an, sagte er, müßten sämtliche Informationen im Fall Ferretti ausschließlich an Giampieri weitergeleitet
werden, dieser übernehme nun das Ruder. Er bat die Kollegen um
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