freeBook Kein Espresso fuer Commissario Luciani
auf, schaute Giampieri an und war versucht, ihm die ganze
Geschichte von Anfang an zu erzählen, dann entschied er, daß die Wahrheit ihn allzusehr schmerzen und sie erneut entzweien
würde:
»Das war Privatdetektivin Lanni. Sie meint, sie habe eine wichtige Zeugin gefunden. Kannst du da sofort hinfahren?«
»Es ist besser, wenn du gehst. Ich würde mir gern diese Übersichten anschauen.«
»Genau genommen bin ich schon im Urlaub, und außerdem stehe ich unter Verdacht. Ich sollte vermeiden, mit Zeugen zu sprechen.«
Giampieri lachte kurz auf: »Du willst nur vermeiden, mit ihr zu sprechen.«
Er ging zu Fuß zu Upim und ließ sich Zeit dabei. Er wollte die Niederlage voll auskosten, den Schlag richtig verarbeiten,
ehe er Sofia Lanni traf. Er wollte sich ein Lächeln abringen, so tun, als wäre alles wie gehabt.
Aber sein schauspielerisches Talent reichte nicht aus. Er grüßte sie kalt. Sie mochte meinen, er wäre wütend, weil man ihn
ungerecht behandelt hatte, und vor allem, weil nicht er es war, der den Fall abschließen konnte. Sie küßte ihn zärtlich auf
die Wange, dann erklärte sie, wie ihr die richtige Eingebung gekommen war.
|367| »Es war Zufall, reiner Zufall. Ein Glücksgriff. Als ich von den Verdachtsmomenten gegen dich erfuhr, dachte ich noch einmal
über den ganzen Fall nach, an alle Einzelheiten, wollte sehen, ob wir etwas vernachlässigt hatten. Da mir fiel das Seil wieder
ein. Wenn ich beweisen konnte, daß Ferretti es gekauft hatte, würde ich dich entlasten. Gestern Abend bekam ich endlich die
Liste mit allen Geschäften hier in Genua, die sonntags morgens geöffnet sind; zum Glück sind es nur wenige, und die allerwenigsten
verkaufen Seile. Heute nacht fuhr ich her, und heute habe ich in aller Frühe angefangen, die Läden abzuklappern.«
»Aber das hatten wir bereits überprüft.«
»Ich weiß. Deswegen sage ich ja, daß es ein Glücksgriff war. Ich beschloß, alles noch einmal nachzuprüfen, nicht weil ich
euren Methoden nicht trauen würde, sondern weil manchmal vier Augen mehr sehen als zwei. Als ich hierher kam, fragte ich die
Dame an der Kasse, ob ihr von diesem Sonntag etwas in Erinnerung geblieben sei. Sie sagte: ›Wissen Sie, ich vertrete hier
nur für zehn Minuten die Kassiererin, Sie sollten besser die Kollegin fragen.‹ Da ist mir ein Licht aufgegangen. Die Kassiererin
hattet ihr bereits vernommen, aber diese hier wahrscheinlich nicht. Ich fragte sie, ob sie zufällig auch an jenem Sonntag
ihre Kollegin vertreten habe, und sei es nur für ein paar Minuten gewesen. Und Bingo! Komm, sie soll dir die Geschichte noch
einmal erzählen.«
Die Verkäuferin war gerade in der Herren-Wäsche-Abteilung und sortierte T-Shirts ein. Sie war um die Vierzig, groß, trug eine
dicke eckige Brille, sah wenig attraktiv und ziemlich kratzbürstig aus. Sofia Lanni stellte die beiden einander vor und bat
die Verkäuferin, dem Kommissar noch einmal ihren Bericht zu wiederholen. Die Frau schien durch Lucianis Miene eingeschüchtert,
fing aber zu erzählen an.
»Nun, das wird so gegen zehn gewesen sein, vielleicht |368| Viertel vor. Die Kollegin wollte gegenüber in der Bar einen Cappuccino holen, weil sie nicht zum Frühstücken gekommen war.
Sie wird so zehn Minuten weg gewesen sein, eher weniger. Im allgemeinen kommen sonntags um diese Zeit wenige Leute, und ich
glaube, daß ich höchstens zwei Kunden hatte. Aber einer hat sich mir eingeprägt, weil er wirklich ein trauriges Gesicht machte,
und ich weiß noch, daß ich dachte: ›Jetzt schau dir den an! Was soll ich denn da sagen? Ich steh hier sonntags und arbeite.‹
Und ich erinnere mich, daß er diese weiße Wäscheleine gekauft hat, nichts sonst.«
Der Kommissar zeigte ihr das Foto von Schiedsrichter Ferretti.
»Das ist er. Ja, ganz klar, ich bin sicher, daß er es ist.«
Sie hatte zu schnell geantwortet. Die Detektivin musterte den Kommissar genau, wartete auf ein Lächeln, irgendein Zeichen.
Aber alles, was sie erkennen konnte, waren Müdigkeit und Enttäuschung.
»Können Sie sich erinnern, wie er bezahlte?«
»In bar«, sagte sie ohne Zögern.
Das war klar, dachte Marco Luciani. Bargeld hinterläßt keine Spuren.
»Haben Sie ihm einen Kassenbon gegeben?«
Sie senkte den Blick. »Ähm, ehrlich gesagt nicht … Wissen Sie, ich kenn mich nicht so gut aus mit der Kasse und baue manchmal
Mist. Wenn die Kunden keinen Bon verlangen, dann … aber ich bitte Sie, melden Sie das nicht
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