freeBook Kein Espresso fuer Commissario Luciani
unaufgeklärt bleibt, ein Nachspiel haben könnte wie Ustica, Bologna oder der Selbstmord
Calvis. Eines dieser hübschen italienischen Kollektivrätsel, in dem sich Enthüllungsreporter, Regisseure und Historiker suhlen.
Das, dank eines Literaturnobelpreisträgers, auf den Theaterbühnen landet. Und mein Name wird immer mitschwingen, wird damit
identifiziert werden, und ich will mein Leben und meine Karriere lang als derjenige gelten, der den Fall gelöst hat, nicht
als derjenige, der ihn hat versanden lassen. Ich will keine Leichen im Keller.«
Marco Luciani betrachtete ihn interessiert und konzentriert, wie ein Entomologe sein Insekt, dessen Geheimnisse er endlich
durchschaut hat. Das war ein besonderes Exemplar, keine Frage, eine Weiterentwicklung der Spezies. Er war nicht von Natur
aus zynisch, sondern aus freier Entscheidung, und darin lag sein großes Potential.
»Sie sind nicht besser als Angelini, wissen Sie das?« sagte er schließlich. »Auch Sie suchen nicht die Wahrheit an sich, sondern
eine
Wahrheit, die Wahrheit, die Sie in Ihrem politischen Ehrgeiz am weitesten bringt.«
|243| Sein Gegenüber setzte ein Pastorenlächeln auf. »Wie ich eben sagte, halte ich den Ehrgeiz für eine wichtige Gabe, die für
individuellen Wohlstand und kollektiven Fortschritt sorgt.«
»Ich habe sie nicht, diese Gabe«, sagte Marco Luciani, »aber ich habe meine Gründe, warum ich weiterermitteln will. Und ich
versichere Ihnen, daß ich den Fall lösen werde. Ich weiß allerdings nicht, ob die Wahrheit am Ende die ist, die Sie sich wünschen.«
Delrio lächelte immer noch: »Ich sagte Ihnen bereits, daß das kein Problem darstellt. Bringen Sie mir die Lösung, und lassen
Sie meine Sorge sein, wie ich daraus Kapital schlage, ob es nun Selbstmord oder Mord ist.«
Der Staatsanwalt erhob sich, gab Luciani die Hand, und dieser wunderte sich, wie kalt die Innenfläche war und wie kräftig
der Händedruck.
»Sie haben etwas auf dem Kasten, Herr Kommissar. Und Angelini wird Sie nie kaufen. Deshalb setze ich auf Sie. Aber überspannen
Sie den Bogen nicht, eines Tages werden Sie merken, daß die Rolle des Unbestechlichen zu schwer auf einem lastet. Auf jedem,
auch auf Ihnen.«
Marco Luciani verließ die Staatsanwaltschaft mit einem beklemmenden Gefühl in der Brust. Es gab niemanden, dem er rückhaltlos
vertrauen konnte, das war ein Schachspiel, in dem die Bauern plötzlich über Eck sprangen wie die Pferde, und die Pferde flitzten
wie die Läufer, die schwarzen Steine gingen ihn frontal an, doch auch die weißen waren bereit, ihm in den Rücken zu fallen.
Er steckte mitten im Gemetzel und konnte nur versuchen unter den Hieben wegzutauchen.
Sie setzten sich an den kleinen Tisch, in die Kochnische des Apartments. Er trug nur Boxershorts, sie ein riesiges Tennishemd
und weiße Frottee-Socken. Sofia Lanni öffnete die |244| Verpackung des Mürbekuchens und schnitt zwei große Stücke ab, dann holte sie das Vanilleeis aus dem Gefrierschrank und tat
zwei üppige Portionen auf die Teller. Marco Luciani hatte keinen großen Appetit, aber er gab sich Mühe, ein Lächeln aufzusetzen
und zu essen.
Kaum war er an der Apartment-Anlage eingetroffen, hatte er in Sofia Lannis grünen Augen gelesen, daß ihr etwas auf den Nägeln
brannte, daß sie ihn aber nicht mit Fragen bedrängen, sondern warten wollte, bis er selbst mit der Sprache herausrückte. Ihre
kräftige, wortlose Umarmung verriet, daß sie den Hetzartikel gegen ihn gelesen hatte und daß sie vermutlich auch die Reaktionen
und Kommentare im Fernsehen kannte.
Er hatte ihr innerlich für die Zurückhaltung gedankt, war ins Badezimmer gestürmt, hatte zuerst heiß, dann kalt geduscht,
war zu Sofia Lanni ins Schlafzimmer gegangen und hatte sich von ihr aufwärmen lassen. Sie hatten ausgiebig und zärtlich miteinander
geschlafen, dann hatten sie eng umschlungen im Bett gelegen, bis der Hunger sie in die Küche trieb.
Der Kommissar war noch schweigsamer als gewöhnlich, die Detektivin wartete darauf, daß er zu reden anfing. Sie schliefen miteinander
und kannten sich doch kaum, sie hatten sich voreinander nackt und wehrlos gezeigt, hatten zusammen Lust empfunden, geschwitzt,
geschrien, hatten einander zärtliche und obszöne Dinge gesagt, aber keiner dieser Augenblicke war so peinlich gewesen wie
dieses lange Schweigen, das Schweigen zweier Fremder, die halbnackt in derselben Küche saßen.
Als sie sah, daß die Falten auf
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