freeBook Kein Espresso fuer Commissario Luciani
diesem Fall meine Zukunft abhängen kann.«
Marco Luciani setzte ein Mona-Lisa-Lächeln auf, das alles Mögliche bedeuten konnte: Zustimmung, Ablehnung, Spott. Delrio fuhr
fort:
»Es ist für mich von fundamentaler Bedeutung, daß dieser Fall zu einem guten Abschluß kommt, das heißt, im Sinne der Wahrheit.
Der einzig richtigen, unumstößlichen Wahrheit. DER Wahrheit. Ob der Schiedsrichter sich nun selbst umgebracht hat oder umgebracht
wurde, das ist für mich nur bedingt von Bedeutung. Wenn wir nachweisen, daß er sich umgebracht hat, werde ich dafür gelobt
werden, daß ich einen Skandal verhindert und den Profifußball gerettet habe; ein Haufen mächtiger Leute und die – nennen wie
sie so: rechte und halbrechte – Presse werden mich unterstützen und mir Beifall zollen, und Doktor Angelini wird von mir begeistert
sein. Sollte sich dagegen herausstellen, daß Ferretti aus Gründen getötet wurde, die irgendwie mit dem Fußball zusammenhängen,
und wenn vielleicht sogar irgendeine schillernde Persönlichkeit in den Fall hineingezogen würde, dann wäre auch das sehr vorteilhaft
für mich, in gewisser Hinsicht sogar noch besser. Ich würde mir den Ruf des absolut integren Staatsanwalts erwerben, der auf
nichts und niemanden Rücksicht nimmt, die linke Presse würde mich aufs Schild heben und vergöttern, und Sie wissen, wieviel
das in meinem Job zählen kann.«
»Aber über die zweite Variante«, warf der Kommissar ein, »wäre Angelini nicht besonders erfreut.«
Delrio nickte: »Genau. Das ist der zentrale Punkt, an dem ich seit Tagen kaue. Es stimmt zwar, daß Doktor Angelini noch sehr
mächtig ist, aber wahr ist auch, daß Angelini in einigen Jahren pensioniert wird. Das ist die ideale |241| Gelegenheit, um mich von ihm abzunabeln und auf eigene Füße zu stellen. Sein Schiff zu verlassen, bevor es leck schlägt und
mich mit in die Tiefe zieht. Wissen Sie, Angelini hat viele Freunde, aber auch viele Feinde, und wenn er geht, dann wird hier
alles anders werden, dann werden alte Rechnungen beglichen. Und dann möchte ich nicht mit dem alten System identifiziert werden,
sondern Bestandteil des neuen sein. Wenn möglich, möchte ich unter denen sein, die es leiten.«
Marco Luciani hörte ihm zu und konnte sich eine Art Bewunderung für diesen unverhüllten Zynismus nicht verkneifen. Delrio
machte kein Geheimnis aus seinem Ehrgeiz, aber er war nicht so arrogant und kompromißlos wie Angelini, nein, er war schlauer,
oder zumindest flexibler. Vielleicht eine Frage des Alters, oder vielleicht einer Ausbildung, in der absolut jeder moralische
Bezugspunkt, jedes Dogma fehlte, die sich je nach Situation bei den Zehn Geboten, dem Kommunistischen Manifest oder bei Kennedy
bediente, solange nur das jeweils passendste Zitat mit einem verbindlichen Lächeln serviert wurde. Der Kommissar hatte Delrio
schon mehrmals im Fernsehen gesehen, wie er eine kurze Erklärung abgab und dabei eine blendende Figur machte: ernsthaft, gebildet,
mit dem passenden Bonmot für jede Gelegenheit. Man konnte ihn sich leicht in naher Zukunft auf einem prestigeträchtigen Posten
vorstellen, im Licht der Öffentlichkeit, zum Beispiel in der Drogen- oder Mafiabekämpfung. Und in einigen Jahren würde er
vielleicht als unabhängiger Kandidat auf der Liste irgendeiner Partei (natürlich derjenigen, die ihm die größten Chancen auf
einen Sieg einräumte) auftauchen und den Sprung in die Politik wagen. Wenn er dann herausgeholt hatte, was herauszuholen war,
würde er vielleicht der Politik wieder den Rücken kehren, sie der Korrumpierbarkeit bezichtigen und erneut seines Richteramts
walten, als ob nichts gewesen wäre.
|242| »Ich stimme mit Doktor Angelini in einem Punkt überein«, setzte Delrio seine Rede fort, »die Ermittlungen dürfen sich nicht
übermäßig lang hinziehen. Aber um sie abzukürzen, würde er sie dem erstbesten übertragen, der ihm schnell eine Version zusammenbastelt,
die mit dem Verdikt ›Selbstmord‹ endet.«
»Auch wenn vieles ungeklärt bliebe?«
»Das kümmert ihn nicht. Wie ich bereits sagte, geht Angelini demnächst in Pension; er muß nur seinen Freunden einen letzten
Gefallen tun und sich einen sorgenfreien Lebensabend sichern. Welches Interesse sollte er haben, sich ausgerechnet jetzt in
die Nesseln zu setzen? Für mich liegt die Sache völlig anders: Die Zweifel bleiben über Jahre, über Jahrzehnte bestehen, und
das ist eine Affäre, die, falls sie
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