FreeBook Nomenclatura - Leipzig in Angst
klar, Herr Kommissar.“ Mit schnellen, kurzen Schritten lief sie zur anderen Straßenseite und verschwand im Haus Tulpenweg 17.
Kriminalassistent Engler hatte frischen Kaffee gekocht, Hinrichs Tastatur gereinigt und versucht die Flecken aus dem grauen Belag zu entfernen. Er hatte viel telefoniert, Leute geweckt und den Kriminaldirektor von Leipzig, Dr. Heinz Schubarth, informiert.
Kaum hatte der Kommissar sich seines Mantels entledigt und auf dem Drehstuhl am Schreibtisch platzgenommen, da stand auch schon eine neue, dampfende Tasse Kaffe vor seiner Nase. Wenn sonst nichts klappte, das klappte immer. Nur eine Frage der Erziehung. Auf dem Tisch lag eine Tüte Smarties, die Hinrich sich eben aus dem Süßigkeitsautomaten in der Kantine gezogen hatte. Die nahm er nun farbig sortiert zu sich und schlürfte den Kaffee.
Engler sagte kein Wort, denn sein Chef dachte nach.
Ein paar Minuten später stand Hinrich auf und setzte sich auf den Rand des Assistentenschreibtisches.
„Ihr habt den Jungen also nicht bei Frank Schwarz gefunden, das Alibi des verschassten Familienvaters ist hieb- und stichfest“, stellte Hinrich seine Überlegungen in den Raum. „War mir ziemlich klar.“
Der Assistent staunte und war beunruhigt. „Frank Schwarz nimmt in Berlin an einer Weiterbildung oder Umschulungsveranstaltung der Allianz teil. Ich habe mich erkundigt, er ist seit Tagen und auch heute im Marriott-Hotel am Potsdamer Platz, es gibt hunderte Zeugen. Er besitzt zur Zeit nicht einmal ein Auto, fällt also definitiv aus. Der arme Mann war richtig geschockt, als ich ihn aus dem Schlaf klingeln musste.“
„Also kommt nur einer der vielen anderen Verdächtigen in Frage. Veranlasse, dass morgen früh die Anwohner im Tulpenweg befragt werden. Vielleicht gibt es da einen Neugierigen, der uns weiterhelfen kann.“ Es klang viel Ironie aus Hinrichs Worten. „Du hast ein Bild des Jungen?“
„Natürlich.“ Engler drückte seinem Chef die Folie in die Hand.
Der betrachtete das Bild lange, bevor er sagte: „Wirklich ein süßer Kerl. Und wir sitzen in der Dunkelkammer. Hoffentlich lebt er noch, Toni. – Schicke an alle Medien eine Suchmeldung raus, mach die Welt richtig verrückt ...“
„Sorry, Herr Kommissar, das habe ich bereits getan. Die Volkszeitung hat mir zugesichert, dass die Suchmeldung im größten Teil der morgigen Ausgabe ist. Der MDR berichtet in jeder Nachrichtensendung, im Radio und Fernsehen. Volker Schiller vom K 3 hat angerufen und sich über die Leute beschwert, die immer wieder seine Spuren zertrampeln. Falls Sie ihn suchen, er ist im Labor, hat er gesagt.“
„Und?“
„Ein paar Haare, ein paar Kippen, keine sicheren Fußspuren. Das Fahrzeug könnte ein älterer Sprinter gewesen sein, Schiller sagte was von der Spurweite. Ist aber noch eine Vermutung. Alles andere muss er erst untersuchen.“
Der Kommissar ging an seinen Arbeitsplatz zurück, setzte sich und nahm ein paar Smarties in die Hand. Dann warf er einen Blick auf seine Uhr. „Zwei Uhr vierzig. Die Kollegen vom BGS und die Streifen in der Stadt wissen Bescheid?“
„Mit Bild und Beschreibung.“ Engler nickte. „Was kann ich noch tun, Herr Kommissar?“
Der zuckte mit den Schultern. „Akte anfertigen ...“
„Hab ich schon.“
„Beten. – Ich lege mich ein paar Stunden aufs Ohr. Solltest du auch tun.“
Gerade wollte Hinrich den Raum verlassen, als der Fernschreiber zu rattern begann. Er lief zu dem Gerät, das am Fenster stand und nahm das Blatt heraus.
„Von Schubarth aus Paris“, antwortete er auf Englers fragende Blicke. „Besucht da so ‘ne Konferenz.“
„Und was schreibt der Herr Direktor?“ Schubarth stellte die höchste Persönlichkeit in Sachen Polizei im Großraum Leipzig dar.
„Höchste Priorität in die Suche nach dem vermissten Kind. SoKo ERIK gründen, morgen Vormittag große Suchaktion in den Wäldern und an der Elster zwischen Südvorstadt und Zentrum. Ich soll das Sondereinsatzkommando leiten, wir bekommen noch Verstärkung von einem mit Kindesentführung erfahrenen Kollegen aus dem Westen. – Er hat die Suche nach Erik zur Chefsache erklärt. Du solltest dich wirklich hinlegen ...“ Hinrich legte das Blatt Papier auf seinen Platz, dann ging er in den Ruheraum, setzte sich auf eine der Liegen und schickte seiner Frau eine SMS, die diese am Morgen anschauen würde: „Werde wenig zu Hause sein. Kindesentführung. Verzeih mir. Ich liebe dich. Holger.“
Nun legte er sich endlich hin und schloss die
Weitere Kostenlose Bücher