FreeBook Nomenclatura - Leipzig in Angst
verlassen? Und ich möchte, dass Sie alles von mir fernhalten, was nicht unmittelbar mit dem Fall ERIK zu tun hat. Okay?“
Fräulein Heinrich nickte heftig. Dann ging sie zu Hinrichs Kaffeemaschine, zog den Stecker heraus und nahm sie einfach mit. „Bis gleich.“
Zehn Minuten später stand die Warmhaltekanne auf Hinrichs Schreibtisch. Der goss sich Kaffee ein und genoss die erste Tasse.
Das Telefon klingelte. Während Hinrich mit Schiller von der Spurensicherung sprach, überflog er die erste Seite der Beilage der Leipziger Volkszeitung. Links fand er die Suchmeldung, daneben das farbig gedruckte Bild von Erik Schwarz. Weiter rechts ein Artikel als Kommentar. Unterschrieben mit U.V.! Ute Vogel, Chefredakteurin der Stadtausgabe, lebte in ewiger Feindschaft mit den Kollegen der K 1. Und ganz besonders liebte Hinrich diese Frau, die „einen Schnurbart auf den Zähnen trägt“, wie er sich bereits öffentlich äußerte.
„Wenn du ein paar Minuten opfern kannst“, meinte Schiller, „dann komm mal runter ins Labor.“
„Bin gleich da.“ Der Kommissar legte auf, biss in ein Brötchen und überflog den Artikel.
„KINDESENTFÜHRUNG IN LEIPZIG!
Gestern, am Abend gegen zweiundzwanzig Uhr verschwand der neunjährige Junge Erik Schwarz spurlos (siehe Suchmeldung rechts). Noch in der Nacht sprach ich mit einer völlig verzweifelten Mutter. Sie geht davon aus, dass ihr geschiedener Mann, gegen den ein Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs der leiblichen Tochter (14) lief, den Jungen gekidnappt hat. „Ich habe der Kripo diesen eindeutigen Hinweis gegeben, aber dort scheint sich niemand darum zu kümmern“, äußerte sich Christine Schwarz über die örtliche Polizeiarbeit. Auf Nachfrage meinte der Sprecher der noch in der Nacht gegründeten SoKo ERIK, Toni Engler, dass der Stand der Ermittlungen keine Aussagen zulasse. Er verriet nur so viel, dass der beschuldigte Ehemann mit der Sache absolut nichts zu tun hätte. Hoffen wir, dass die Polizei den Fall ernst nimmt und den Täter schnell fasst. Es ist jedoch zu vermuten, dass Personalabbau, Kurzarbeit und Umstrukturierungen bei der Kripo, als auch das Versäumen, mit dem genetischen Fingerabdruck intelligent umzugehen, dem kleinen Erik nicht gerade hilfreich sind. Wieder einmal geht die Angst in Leipzig umher, dass es sich um einen jener Psychopathen handeln könnte, der seine sexuellen Phantasien an kleinen Jungen auslebt, und sie anschließend tötet. Betrachtet man die Statistik der polizeilichen Aufklärungsquote hierzulande, wenn solche Serienmörder gejagt werden, dann wird der Täter im Durchschnitt erst nach seinem fünften (!) Mord gefasst.
U.V.“
Engler betrat das Zimmer, auf dem Pappteller in seiner Hand ein paar belegte Brötchen.
„Du bist in der Zeitung, Toni“, meinte Hinrich und warf dem Assistenten das Blatt auf den Tisch. „Nicht gerade vorteilhaft. Wenn die Vogel das nächste Mal hier aufschlägt, dann verweißt du sie bitte an den Pressesprecher der Kripo. Verstanden? Und wenn ich sie antreffe, dreh ich ihr den Hals um.“
„Sie haben ja schon Kaffee gekocht!“, stellte Engler kauend fest.
Hinrich nickte grinsend, schob sich das letzte Stück Brötchen in den Mund, warf einen Blick auf seine Armbanduhr und stand auf. „Du hast eine vorübergehende Kaffeekochbefreiung. Weil ich eben ein Guter bin. – Du findest mich im Labor, Toni. Pass auf, dass hier nichts anbrennt. Ach so, zehn Uhr ist Generalvollversammlung angesagt. Bis dahin musst du fit sein.“
„Hallo Cornelia, hier ist Ute.“
„Na heu, Ute, was gibt’s denn?“
Cornelia Schultz und Ute Frömmler kannten sich von Kindheit an. Sie besuchten zusammen die Schule und freuten sich, dass sie sich wieder fanden, als Erik Schultz in Grünau eingeschult wurde. Fräulein Frömmler war die Schulsekretärin in Eriks Grundschule.
„Warum hast du nicht angerufen, wenn dein Sohn krank ist?“, fragte Ute Frömmler.
„Was hat er denn plötzlich?“ Frau Schultz war erstaunt, dem Jungen ging es am Morgen sehr gut.
„Das will ich doch wissen. Weil Erik nicht in der Schule ist.“
Am anderen Ende war zunächst Ruhe. Nach kurzer Zeit die Frage: „Kannst du das bitte noch mal sagen?“
„Erik ist nicht in der Schule. Und wenn du keine glaubhafte Entschuldigung hast, dann gilt der Tag als unentschuldigt gefehlt. Aber das weißt du doch bestimmt.“
„Ute?“, fragte es am anderen Ende. „Erik ist heut früh zum Bus, mit seinem Ranzen, er muss in der Schule sein ... Moment,
Weitere Kostenlose Bücher