freeBooks Thor - Die Asgard-Saga Roman
weiter, während sie ihn schon fast gewaltsam in Richtung desselben Tisches zerrte, an dem er schon vorhin gesessen hatte. Im Flüsterton und fast, ohne dass sich ihre Lippen bewegten, fügte sie hinzu: »Lass dir nichts anmerken. Urd kennt dich nicht.«
Urd? Immerhin hatte er sich gut genug in der Gewalt, Gundri anzustarren und nicht Urd und ihre Kinder, aber ganz verbergen konnte er seine Überraschung nicht. Woher kannte sie Urds Namen?
»So, und jetzt setz dich und lass dich bewirten«, fuhr Gundri nun wieder lauter fort; fast schon eine Spur zu laut. Gleichzeitig bugsierte sie ihn unsanft auf den Schemel hinab und wedelte übertrieben mit beiden Händen. »Ich weiß, manchem kommt es sonderbar vor, aber ein neuer Gast ist hier am ersten Tag traditionell unser Gast.«
»Das ist … eine sehr angenehme Sitte«, sagte Thor zögernd. Er musste sich beherrschen, um nicht unentwegt zu Urd hinüberzusehen. Gundri hatte zweifellos recht: Weder Urd noch ihre Kinder nahmen auch nur die geringste Notiz von ihm. Offensichtlich hatten sie mit der Tochter des Wirtes gesprochen. Aber warum? Die Stimmung hier drinnen war entspannt. Auch von Urd und den Kindern schien niemand über die Maßen Notiz zu nehmen. »Aber wie kommt ihr auf eure Kosten, wenn ein Gast nur einen Tag bleibt?«
»Das ist unser großes Geheimnis«, sagte Gundri lächelnd. »Und vor allem das meiner Mutter.«
»Und deines Vaters.«
»Ich glaube, er sieht seine Aufgabe eher darin, unsere Metvorräte zu bekämpfen und mit den Gästen um die Wette zu trinken«, antwortete Gundri ernsthaft. »Aber meistens verliert er.« Sie wedelte noch einmal mit beiden Händen. »Ich bringe dir gleich dein Essen.« Und rühr dich nicht , fügten ihre Lippen lautlos hinzu.
Es war sehr verwirrend. Und ein bisschen beunruhigend.
Thor lehnte sich zurück, so weit es auf dem unbequemen Stuhl möglich war, schloss die Augen bis auf zwei schmale Schlitze und tat so, als genieße er die Wärme des Feuers in seinem Rücken. Insgeheim versuchte er, Urds Blick einzufangen, aber sie sah nicht einmal in seine Richtung, sondern war ganz in ihr Gespräch mit Lif und ihrer Tochter vertieft. Thors Beunruhigung wuchs, auch wenn er selbst nicht genau sagen konnte, warum. Aber irgendetwas stimmte hier nicht.
Nach einer Weile kam Gundri zurück und brachte ihm einen Krug Met und einen Becher. Das Essen, das sie auf einem hölzernen Tablett in der anderen Hand balancierte, trug sie jedoch zu Urds Tisch und stellte es dort ab. Während Lif und seine Schwester sofort und mit großem Appetit zugriffen, begann Urd eine angeregte Unterhaltung mit Gundri. Thor versuchte ihr unauffällig zu folgen, aber die beiden sprachen leise, und die Stimmen und Geräusche der anderen Gäste waren zu laut.
Thor versuchte den Gedanken als albern abzutun und sah in eine andere Richtung. Er war es einfach nicht mehr gewohnt, Menschen zu vertrauen, das war alles.
Es dauerte nicht mehr lange, bis auch er sein Essen bekam. Die Portion war gewaltig, selbst für einen Mann von seinem Wuchs, aber er verzehrte sie bis auf den letzten Krümel und hatte hinterher das Gefühl, noch nie zuvor etwas Köstlicheres gegessen zu haben.
Auch wenn ihm im Moment wahrscheinlich alles geschmeckt hätte, was zu Lebzeiten keine spitzen Ohren und weißes Fell gehabt hatte.
Als er mit Essen fertig war und seinen Teller zurückschob, kam Gundri wieder an seinen Tisch, um abzuräumen, kehrte jedoch schon nach wenigen Augenblicken noch einmal zurück, begleitet von einer dunkelhaarigen Frau, die ihr zwar unübersehbar ähnelte, Thor aber beinahe zu jung erschien, um tatsächlich ihre Mutter zu sein. Sie stellte sich jedoch als genau diese vor – ihr Name war Helga –, nahm unaufgefordert an seinem Tisch Platz und fragte ihn, wie ihm das Essen geschmeckt hatte. Sie lachte ein wenig zu laut und erkundigte sich nach diesemund jenem, ohne dass er das Gefühl hatte, seine Antworten würden sie wirklich interessieren. Schließlich legte sie ihm in einer schon beinahe vertraulichen Geste die Hand auf den Unterarm und beugte sich leicht vor. »Ich soll dir von der ehrwürdigen Urd ausrichten, dass sie es für besser hält, wenn ihr euch nicht kennt, wenigstens so lange ihr hier in Oesengard seid«, sagte sie, mit unverändertem Gesichtsausdruck, aber gesenkter Stimme. »In drei Tagen kommt ein Schiff, das euch von hier fortbringt. So lange ist es besser, ihr geht euch aus dem Weg.«
»Warum?«, fragte Thor. Wieso um alles in der Welt
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