Freiheit für Cyador
ein Grund, warum ich noch nicht auf die Einführung gedrängt habe. Die Sperrenmauer muss so stark wie immer erscheinen, bis wir sicher sind, dass wir Euren Plan zu Ende führen können.«
»Ich glaube Euch beinahe, verehrter Zweiter Magier.« Chyenfel presst seine langen, schlanken Finger aneinander.
»Seid Ihr überzeugt, dass es gelingen wird, Ser?«, fragt Kharl plötzlich. »Dieses große Vorhaben, von dem Ihr unserem Kaiser stets so entschlossen berichtet?«
»Voll und ganz? Nein. Aber das ist nicht wichtig.
Wenn es nicht gelingt, dann ist es besser, Cyad erfährt davon, solange die Chaos-Türme noch intakt sind. In der nächsten Generation wird es keine Türme mehr geben, bloß noch ein paar Feuerlanzen, die durch die mühsame Arbeit von Erststufen-Adepten geladen werden. Nur noch wenige Cupridiumklingen werden hergestellt werden, um die Barbaren aus dem Norden aufzuhalten.« Die sonnengoldenen Augen blitzen auf. »Aber das wisst Ihr alles selbst. Ich denke, es ist das Wagnis wert.« Ein ironisches Lächeln folgt. »Nur nicht für jene, die jetzt gern die Macht an sich reißen würden – oder in den wenigen noch kommenden Jahren.«
»Ich habe niemals gegen Euch gearbeitet, Ser.« Das vermeintlich warme Lächeln umspielt erneut Kharls Lippen.
»Aber da Ihr wisst, wie ich in Euren Gedanken wahrlesen kann, verehrtester Zweiter Magier, seid Ihr höchst vorsichtig bei dem, was Ihr sagt und wie Ihr es sagt.«
»Genau wie Ihr selbst, Ser«, erwidert Kharl darauf. »So wie wir alle.«
»Wieder habt Ihr Recht, Kharl. Ich wünschte, Ihr würdet Euer Wissen und Urteilsvermögen einsetzen, um die Maßnahmen zu unterstützen, die notwendig sind, um den Verwunschenen Wald zurückzuhalten. Und das länger als nur noch die wenigen Jahre, die die Chaos-Türme und Kristallsperren noch halten werden.«
»Ich habe verstanden, verehrter Erster Magier, und ich werde damit anfangen.«
Ein kaum sichtbares Lächeln erscheint auf Chyenfels Lippen, er steht auf, um das Ende der Zusammenkunft anzukündigen.
Kharl erhebt sich ebenso, sein Lächeln ist das Abbild der Miene des Ersten Magiers.
Weder die sonnengoldenen Augen noch jene funkelnden grünen mit dem blassen Goldschimmer spiegeln auch nur den Anschein eines Lächelns wider.
XXII
I m Zwischenposten ist es ruhig, der Frühsommerhimmel ist so wolkenlos dunkel und ruhig, dass nicht einmal die Sterne zu funkeln wagen. Lorn schenkt jedoch dem Himmel keine Beachtung, als er über den Hof zu dem kleinen Seitentor schleicht, das weder abgesperrt noch bewacht wird. Er trägt den brystanischen Säbel auf der rechten Seite zusätzlich zu dem Lanzenkämpfersäbel auf der linken. So stiehlt er sich in den Schatten, mit dem er förmlich verschmilzt, als er das Tor öffnet und hindurch eilt. Leise läuft er auf dem Steinweg, der an der Mauer entlang führt, Richtung Süden.
Erst als er weit genug von der Mauer entfernt ist, setzt er die Stiefel so leise wie möglich auf den Boden des trockenen Ödlands, denn die kleine Straße, die vom Haupttor des Zwischenpostens an der Perimeterstraße vorbei zur Sperrenmauer führt, möchte er lieber nicht nehmen. Seine Füße tragen ihn durch die Nacht, der Sperrenmauer und dem, was hinter dem weißen Granit lauert, entgegen. Das Chaos-Netz flackert über der Mauer – ein unsichtbares Netz, das nur die Magi’i sehen können und ein Lanzenkämpfer, der ein Magier geblieben ist.
Lorn bleibt auf der inneren Mauerstraße stehen und betrachtet den leuchtenden Granit, das Chaos-Netz und die unentwirrbar ineinander verschlungenen Kräfte der schwarzen Ordnung und des rotgoldenen Chaos. Er fragt sich noch einmal, wie etwas, das solches Chaos enthält, von den Magi’i als böse bezeichnet werden kann. Doch die Feindseligkeit, die die Waldtiere den Ingenieuren und Lanzenkämpfern entgegenbringen, ist nicht zu leugnen. Ist es denn wirklich eine Feindseligkeit?
»Willst du es versuchen?«, murmelt er zu sich selbst, denn er weiß, dass er nicht ewig als Lanzenkämpfer – wenn auch als fähiger Lanzenkämpfer – bestehen kann. Nach drei Jahreszeiten, in denen der Wald immer nach dem gleichen Muster vorgegangen ist – zu viele Schösslinge und umgestürzte Bäume, zu viele Bestien, die zu schnell sind und zu gefährlich für die vorhandene Zahl der Lanzenkämpfer und Feuerlanzen der Zweiten Kompanie –, weiß Lorn, dass er früher oder später einen Fehler machen wird, der tödlich ausgeht. Daher will er seine Zukunft auf keinen Fall allein
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