Freiheit für Cyador
restlichen Zweige und Äste eingesammelt, um sie zu verfeuern. Wind und Insekten haben sich um die Blätter gekümmert. Eine nennenswerte Lücke zwischen den riesigen Stämmen, die jenseits der Sperrenmauer eine zweite Wand bilden, kann Lorn nicht ausmachen.
Es scheint fast, als wäre hier niemals ein Baum über die Sperrenmauer gefallen.
Aber Lorn weiß um die toten Lanzenkämpfer und die gefährlichen Tiere, die nun durch den Norden Cyadors streifen, das Vieh töten und hinaus in die Nacht zerren. Und er weiß auch, dass neue Bäume fallen werden; das ist so sicher wie der nächste Regen oder Windstoß.
XXI
I m hellen Licht der Wandlampen und deren glänzenden Cupridiumreflektoren, die jedoch völlig unnötig sind für jene, die diesen Raum nutzen, schreitet der Erste Magier Chyenfel bedächtig, ja geradezu vorsichtig zum Schreibtisch, der im karg ausgestatteten Arbeitszimmer im obersten Stockwerk des Turmes steht, welcher über das Viertel der Magi’i wacht. Es ist nicht wirklich ein Turm, denn er erhebt sich nur fünf Stockwerke hoch in den Himmel, also weit weniger hoch als der Palast des Lichts; nur für die Oberlektoren der Magi’i und für jene, die wissen, was innerhalb des Viertels vor sich geht, gilt er als genauso eindrucksvoll. Schweigend lässt sich Chyenfel’elth nieder und wartet, bis der Zweite Magier auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch Platz genommen hat.
»Ser?«, fragt Kharl’elth. »Ihr empfangt nicht oft am Abend.«
»Wenn ich müde bin und weniger aufmerksam? Da habt Ihr Recht. Das mache ich nicht gern.« Ein Lächeln erscheint auf Chyenfels Gesicht und verschwindet wieder. »Ich möchte wissen, warum Ihr Hauptmann-Kommandant Luss davon abhaltet, dem Major-Kommandanten gegenüber die Unterstützung für das Schlafsperrenvorhaben gutzuheißen, und warum Ihr den Handelsberater des Kaisers eben von dem Gleichen abhaltet.«
Kharl lächelt warm, die grünen Augen funkeln. »Ich habe nicht ein Wort dagegen gesagt. Nicht ein abträgliches Wort zu irgendjemandem, Ser.«
Chyenfel seufzt übertrieben laut. »Das ist es ja. Das ist so, als würdet Ihr sie abhalten, das wisst Ihr ganz genau. Ich habe meine Meinung für mich behalten, weil ich glaubte, dass wir Zeit haben und dass zu gegebener Zeit die Notwendigkeit dieses Vorhabens für alle offensichtlich werden würde, ohne die Stimme erheben oder die Macht der Magi’i ins Spiel bringen zu müssen.«
»Das war sehr weise, Ser, denn die Versorgungstürme hier im Viertel könnten sehr bald ihren Dienst versagen, einer nach dem anderen. Indessen nehmen die Angriffe der Barbaren zu und erfordern immer noch mehr Feuerlanzen und damit mehr Ladungen.« Kharl scheint völlig unbeeindruckt, seine Stimme klingt gleichgültig. »Wie Ihr wisst, fürchte ich die Barbaren mehr als den Verwunschenen Wald.«
»Fehler am Verwunschenen Wald können wir uns nur eine Jahreszeit lang leisten, höchstens ein Jahr, aber nicht länger.« Die sonnengoldenen Augen des Ersten Magiers starren in die grünen Augen des Zweiten, die über kaum mehr als einen Schatten des sonnengoldenen Glanzes verfügen. »Ihr wisst, dass die Sperrenmauern auf der nordöstlichen Seite des Verwunschenen Waldes fast nichts mehr aufhalten und wir dort wieder einen Chaos-Turm verloren haben.«
»Ich habe die Berichte der Spiegelingenieure gelesen.« Kharl zuckt gleichgültig die Achseln. »Wir beide kennen die Gefahren. Und doch wollen wir uns nicht den Zorn des Kaisers zuziehen – oder den des Major-Kommandanten der Lanzenkämpfer –, indem wir die Chaos-Ladungen für die Spiegellanzenkämpfer noch weiter beschränken oder noch weniger Feuerwagen über die Straßen von Cyador fahren lassen. Auf dem Großen Kanal haben wir die Zahl der Schleppwagen ohnehin bereits verringert.«
Der Erste Magier wartet.
»Deshalb haben wir auch diesem Hauptmann Lorn – oder soll ich sagen Lorn’elth? – die Patrouillen an der nordöstlichen Sperrenmauer anvertraut.« Kharl streicht sich abwesend, fast gekünstelt, eine rote Haarsträhne aus dem Gesicht. »An diesem Ort vermag er wahrscheinlich wirkungsvoller zu handeln.«
Chyenferelth Mund lächelt, aber die sonnengoldenen Augen leuchten kalt und lassen nicht vom Zweiten Magier ab. »Das war sehr klug von Euch, Kharl, wenn Ihr auch nicht genau aus den Gründen gehandelt habt, die Ihr mit Hauptmann-Kommandant Luss besprochen habt.«
»Wir brauchen Zeit, um sicherzustellen, dass Euer Vorhaben auch glückt«, fährt Kharl fort, »und das ist mit
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