Freiheit für Cyador

umgestürzten Bäumen vorgehen will. Diese neue Vorgehensweise soll für seine Männer wenn schon nicht selbstverständlich, so doch zumindest verständlich sein.
    Lorn nimmt die Feder zur Hand. Das Schreiben an Kommandant Meylyd mit der Bitte um Ersatzlanzenkämpfer ist am einfachsten. Lorn erwartet nicht viel, aber er weiß, wenn er nichts anfordert, wird man ihn der Nichterfüllung seiner Pflicht, das Volk und die Lanzenkämpfer von Cyador zu schützen, bezichtigen.
    Als er damit fertig ist, überfliegt er noch einmal die Seite.
     
    … die Erste Einheit der Zweiten Kompanie besteht nur noch aus zwölf Lanzenkämpfern, der Truppenführer ist gefallen, ein Behelfstruppenführer wurde ernannt. Die Zweite Einheit verfügt über dreizehn Lanzenkämpfer und einen neu beförderten Haupttruppenführer. Die Zweite Kompanie besteht also nur noch aus zwei Dritteln ihrer ursprünglichen Stärke … musste jedoch mit der doppelten Anzahl von Mauerbrüchen in den letzten drei Jahreszeiten von Winter bis Sommer fertig werden. Deshalb … fordere ich hiermit Ersatzlanzenkämpfer an, um die Kompanie wieder zu vervollständigen, und erbitte einen neuen Untertruppenführer zu entsenden oder zu befördern …
     
    Lorn legt die Schriftrolle zum Trocknen beiseite und beginnt mit der zweiten, dem Brief an seine Familie, der zweifellos durch Marans oder Meylyds Hände gehen wird.
     
    … die vergangenen Jahreszeiten haben ihren Tribut an meiner Kompanie gefordert, denn der Verwunschene Wald drängt weiterhin unerbittlich gegen die Sperrenmauer. Mehr als das, müsste man richtigerweise schreiben. Aber wir haben beharrlich weitergekämpft, trotz all der vorherzusehenden und unvorhergesehenen Hindernisse … das Schwierigste ist, die wilden Tiere aus dem Wald an der Flucht zu hindern, damit sie das Volk von Cyador nicht bedrohen, und dabei die Lanzenkämpfer durch Angriffe dieser Bestien nicht zu Schaden kommen zu lassen … Nur wenige Menschen verstehen die Notwendigkeit der Aufgabe, die ich nun erfülle, auch ich habe sie verkannt, bevor ich nach Jakaafra kam …
    … hoffe, es geht euch gut in Cyad und dass Myryans Garten die Früchte trägt, die sie sich erhofft, und dass Jerial weiterhin Befriedigung in ihrer Tätigkeit als Heilerin findet …
     
    Lorn lächelt, als er die nächste Zeile hinzufügt.
     
    … Ich hatte bisher noch keine Zeit, neue Weingüter hier in Jakaafra ausfindig zu machen, und werde also zweifellos mit dürstendem Gaumen nach Cyad zurückkehren …
    Noch einige Zeilen über die Äpfel in Jakaafra und die Vorfreude auf kühleres Wetter, dann unterzeichnet er den Brief und legt ihn beiseite.
    Lorn lehnt sich zurück und denkt über neue Taktiken nach. Die Formation der Truppe und die Annäherungsweise an die Baumkronen müssen so gestaltet werden, dass er frei über sein Chaos verfügen kann, ohne dass die anderen es bemerken. Aber wie kann er diese Veränderungen den Lanzenkämpfern verständlich machen, ohne dass sie sein Tun durchschauen?
    Er schließt die Augen und versucht sich vorzustellen, was die Zweite Kompanie schon so oft getan hat und nicht länger riskieren kann.
    Die Schriftrolle für Ryalth wird warten müssen, bis er in seinen eigenen Gemächern angelangt ist, wahrscheinlich bis zum Abend.

 
XXIX
     
    D raußen klatscht der erste kalte Herbstregen gegen die blau getönten Glasscheiben in Lorns Arbeitszimmer. Kälte strahlt von dem Glas ab, das viel, viel älter als Lorn ist – und auch älter als Major Maran, der sich auf dem Stuhl vor Lorns Schreibtisch niedergelassen hat.
    »Ihr habt nun etwas Zeit gehabt, um über die Nachricht nachzudenken, mit welcher ich Euch die Ansichten des Kommandanten Meylyd übermittelt habe.« Marans blaue Augen drücken Besorgnis aus, sein Mund jedoch lächelt. »Dies sind auch die Ansichten des Major-Kommandanten in Cyad.«
    Trotz der Kopfschmerzen, die der Sturm draußen ihm bereitet, erwidert Lorn das Lächeln mit der gleichen Wärme. »Ich begrüße es sehr, dass Ihr Euch die Mühe gemacht habt, Eure Ansichten klar und deutlich vorzubringen. Wenn man die meiste Zeit damit verbringt, an der Sperrenmauer zu patrouillieren, und versucht, die Untiere des Verwunschenen Waldes zurückzudrängen – und das alles mit zu wenig Lanzenkämpfern –, neigt man dazu, all die anderen wichtigen Belange zu vergessen.«
    »Ihr habt in der Tat die Schwierigkeiten begriffen, denen die Spiegellanzenkämpfer und Kommandant Meylyd gegenüberstehen«, meint Maran herzlich. »Er