Freiheit
auf falschen Voraussetzungen, falschen Analysen oder etwa auf privater oder politischer Naivität beruht. Ich nenne ein Beispiel, das für die Evangelische Kirche und ihre Einrichtungen nicht ohne Bedeutung war und ist.
»Entfeindet euch«, sagten meine Kirchentagsfreunde gerne in den interessanten Friedenskampfjahren im Westen der Republik. Zu jener Zeit war die Begeisterung für den Frieden groß und ohne Einschränkung. Und so dachten viele meiner protestantischen Freunde im Westen, wenn man sich entfeinde, wäre das eine wirksame Aktion gegen Feindschaft und Krieg. Unsere Evangelischen Akademien und Studentengemeinden waren eben nicht immer der besondere Hort des Heiligen Geistes, sie waren und sind manchmal auch Spielwiesen des Zeitgeistes. Entspannung jedenfalls war die große Losung fortschrittlicher Politik. Wer aufrüstete oder das Gleichgewicht des Schreckens verteidigte, galt als kalter Krieger.
Václav Havel war damals sehr enttäuscht von seinen Freunden im Westen. Sie waren bereit, der guten Kontakte zu den Unterdrückern wegen die Kontakte zu den Oppositionellen zu begrenzen, und sie waren trotz eines Kommunismus mit imperialen Absichten bereit, den demokratischen Westen mental und militärisch abzurüsten. War das nicht die Fortführung einer Appeasement-Politik, deren Gefährlichkeit uns in Europa bewusst sein sollte? Frieden ist zweifellos eines der ganz großen politischen Ziele und eine große theologische Vision. In konkreten Situationen aber kann Verzicht auf Gewalt auch bedeuten, der Gewalt von Unterdrückern und Aggressoren den Weg zu ebnen oder ihren Terror zu dulden.
Toleranz
Zum Schluss möchte ich mich noch der Toleranz zuwenden. Ich glaube nicht, wie es in einigen Teilen meiner neuen Berliner Heimat inzwischen üblich ist, dass derjenige, dem alles egal ist, den Preis für Toleranz verdient.
Gleichgültigkeit ist kein anderer Name für Toleranz. Gleichgültigkeit ist vielmehr ein anderer Name für Verantwortungslosigkeit.
Manche denken, wenn ich keine Überzeugung habe, dann kann ich auch keinen stören. Sogar manche Politiker definieren in dieser Weise »liberal«. Aber wir wissen, dass wir besonders dann glaubwürdig sind, wenn wir uns zu erkennen geben. Und wir wissen, dass eher diejenigen, die ihres eigenen Glaubens und ihrer eigenen Werte sicher sind, die Werte von Fremden zu würdigen bereit sind, weil sie das Fremde weniger fürchten und in den Anderen Menschenkinder erkennen, die zusammen mit uns überleben und in Würde leben wollen. Deshalb achten sie die Anderen, öffnen ihnen die Türen und verstehen die Einladung nicht als ein verstecktes Kommando: »Ihr werdet bitte innerhalb einer gesetzten Frist genauso wie wir.«
Es ist wichtig zu begreifen, dass wir der Toleranz nicht dienen, wenn wir unser Profil verwässern, sondern indem wir uns umgekehrt unserer eigenen Werte wieder vergewissern. Wir haben genug Beispiele, dass wir nicht jenen fürchten müssen, der in sich ruht, sondern dass wir den zu fürchten haben, der weder weiß, wozu er da ist, noch, was er glaubt, der sich gekränkt und klein fühlt und auf vermeintliches oder tatsächliches Unrecht, das ihm angetan wurde, mit massiver Gegengewalt reagiert.
Nicht diejenigen verbrennen Bücher und jagen sich und andere in die Luft, die sich sicher sind über die Werte, die ihnen am Herzen liegen, sondern im Gegenteil diejenigen, die tief verunsichert sind, leicht das seelische Gleichgewicht verlieren und im Groll feststecken. So wie unser Land in seine größte Katastrophe kam und den allergrößten nationalen Übermut entwickelte, als es klein und niedergetreten war, als es gerade kein starkes Ich hatte nach dem Ersten Weltkrieg. Da entstand als Gegenbewegung eine fürchterliche Hybris, die unsere Nation überhöhte und unsere Herrschaft jedem anderen notfalls mit Gewalt aufzwingen wollte.
Wir sollten daher nicht der irrigen Meinung sein, dass wir der Toleranz etwas Böses antun, wenn wir noch einmal unsere christlich-jüdische Dogmatik anschauen, fragen, welche Werte für unsere Gesellschaft heilsam und wichtig sind, und sie neu zu schätzen lernen. Wir tun der Toleranz auch nichts Böses an, wenn wir die Menschenrechte verteidigen, wie sie in den letzten Jahrhunderten und Jahrzehnten entwickelt und niedergeschrieben wurden in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen und einer Vielzahl von Konventionen, die detailliert den Schutz einzelner Menschenrechte regeln -
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