Freimaurer, Illuminaten und andere Verschwörer
abstrusesten Verschwörungen. Die Erklärung des Verschwörungsglaubens muss also tiefer liegen. Der gelernte Historiker und jetzige Direktor des US -amerikanischen Middle East Forums, Daniel Pipes, bezeichnet in seinem Buch
Verschwörung
alle Menschen, die an eine Verschwörungstheorie glauben, ausdrücklich als Verschwörungstheoretiker. Pipes unterscheidet dabei nicht zwischen einer ausgearbeiteten Verschwörungstheorie und einem dumpfen Verschwörungsglauben, und auch nicht zwischen den glühenden Anhängern einer Theorie und den beiläufig Gläubigen. Er geht davon aus, dass ein Mensch, der an
eine
Verschwörungstheorie glaubt, auch für mehrere empfänglich ist, weil er grundsätzlich dazu neigt, Derartiges zu glauben.
Demnach wäre der Verschwörungsglauben (Pipes spricht auch von Verschwörungsdenken) eine Art individuelle, also im einzelnen Menschen liegende Wahrnehmungsstörung oder Urteilsschwäche. Das erklärt aber nicht, warum Verschwörungslegenden und -theorien sich manchmal epidemieartig ausbreiten und auch Menschen infizieren, die bisher keine Neigung zu Verschwörungsideen zeigten.
Das Buch
A Culture of Conspiracy – Apocalyptic Visions in Contemporary America
des amerikanischen Politikwissenschaftlers Michael Barkun widmet der Natur des Verschwörungsglaubens ein ganzes Kapitel. Barkun kommt zu dem Schluss, dass ein Verschwörungsglauben seinen Anhängern die Erklärung der Welt in mehrerer Hinsicht vereinfacht. Viele scheinbar zufällige Ereignisse in der Welt erhalten plötzlich eine Bedeutung. Die Rollen der Guten und der Bösen sind klar verteilt: Die Bösen sind die unsichtbaren Verschwörer, die Guten sind sie selbst. Barkun hat zweifellos Recht mit
seiner Analyse, aber sie greift zu kurz. Wie die beiden anderen Autoren übersieht er, dass die Meinung eines Menschen in hohem Maße von seiner Umgebung abhängt. Die Menschen stammen von einer langen Reihe von sozial lebenden Vorfahren ab. Unser Instinkt und der Instinkt unserer Vorfahren ist seit Millionen Jahren darauf ausgerichtet, die eigene Gruppe zusammenzuhalten und zu stärken. Und dieses Motiv bestimmt noch immer unser Verhalten – und unser Denken.
Die meisten Menschen unseres Kulturkreises legen Wert auf die Feststellung, dass sie sich ihre Meinung selbst bilden, und zwar auf der Grundlage eines vernünftigen, auf Logik und Tatsachen beruhenden Urteils. Das ist jedoch nur sehr eingeschränkt richtig, denn sobald Instinkte und Gefühle mitmischen, setzen sich auch kluge und maßvolle Menschen über jede Logik hinweg. Einige Beispiele: Der Philosoph Voltaire, der vehement für religiöse Toleranz eintrat, hielt die Juden für »das abscheulichste Volk der Erde«. Kurz nach Beginn des Ersten Weltkriegs, am 4 .Oktober 1914 , unterschrieben 93 deutsche Intellektuelle, unter ihnen ausgewiesene Liberale, einen öffentlichen, in 14 Sprachen übersetzten »Aufruf an die Kulturwelt«, um das Vorgehen des Deutschen Reiches zu rechtfertigen. Unter anderem heißt es darin zum Vorwurf der Kriegsschuld:
»Erst als eine schon lange an den Grenzen lauernde Übermacht von drei Seiten über unser Volk herfiel, hat es sich erhoben wie ein Mann.«
Zum Überfall auf das neutrale Belgien schrieben sie, Deutschland sei lediglich dem von Belgien genehmigten Einmarsch durch England und Frankreich zuvorgekommen, und zum Militarismus:
»Ohne den deutschen Militarismus wäre die deutsche Kultur längst vom Erdboden getilgt.«
Dieses seltsame Bekenntnis trug unter anderem die Unterschrift von Max Planck, Wilhelm Konrad Röntgen, Ernst Haeckel, Max Reinhard und Gerhard Hauptmann.
Wie lassen sich solche kollektiven geistigen Fehlleistungen erklären? Dies aufzuklären, bemüht sich seit einigen Jahrzehnten die Sozialpsychologie
,
eine interdisziplinäre Wissenschaft zur Erforschung der Wechselwirkung zwischen dem Verhalten und Denken des Einzelnen und dem Verhalten seiner sozialen Gruppe. Mit ganzen Serien von Experimenten haben Sozialpsychologen inzwischen nachgewiesen, dass menschliches Denken immer dann den Pfad der Logik und Vernunft verlässt, wenn Gefühle ins Spiel kommen. Menschen beurteilen sich selbst und ihre Mitmenschen vornehmlich emotional und suchen erst im Nachhinein eine rationale Begründung dafür. Mag ich meinen Nachbarn nicht, weil er seinen Vorgarten verkommen lässt, oder sticht mir das Unkraut dort ins Auge, weil ich ihn nicht ausstehen kann? Nach den Erkenntnissen der Sozialpsychologen ist die zweite Variante die weitaus
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