Freimaurer, Illuminaten und andere Verschwörer
Diese Art der selektiven Wahrnehmung führt zuverlässig zu politischen Fehlschlägen und im schlimmsten Fall zur Katastrophe. Das deutlichste Mahnmal für eine solche Katastrophe sind der Fall der ersten deutschen Republik und Hitlers vorsätzlich ausgelöster Weltkrieg. Beide Ereignisse sind untrennbar mit einer der folgenreichsten Verschwörungslegende des 20 . Jahrhunderts verknüpft: Der Dolchstoßlegende.
Die Dolchstoßlegende
Das Ende kam nicht plötzlich, aber dennoch unerwartet. Am 29 .September 1918 forderte General Ludendorff von der Regierung des Deutschen Reiches die sofortige Aufnahme von Waffenstillstandsverhandlungen, weil er eine Fortführung des Krieges für aussichtslos hielt. Ludendorff war sicher, dass seine erschöpften Truppen die nächste Offensive der Franzosen, Engländer und Amerikaner nicht mehr würden zurückschlagen können. Außerdem verlangte er ausdrücklich, dass die demokratischen Mehrheitsparteien
des Reichstages (Zentrum, SPD , Fortschrittspartei und Nationalliberale) in die Reichsregierung aufgenommen würden.
Die Meldung von der Bitte um Waffenstillstandsverhandlungen ohne Vorbedingungen zerschlug im Deutschen Reich die letzten Hoffnungen auf einen Siegfrieden oder wenigstens einen Verständigungsfrieden. Große Teile der Bevölkerung glaubten bis dahin noch immer, dass der Sieg oder ein »ehrenvoller« Frieden noch erreichbar war. Hatte man nicht mit Russland zu hervorragenden Bedingungen einen Separatfrieden geschlossen? Hatten Deutsche und Österreicher nicht die italienischen Truppen am Alpenrand besiegt, mehrere hunderttausend Soldaten gefangen genommen und waren bis weit in die Poebene vorgerückt?
Im Oktober und November 1918 brach in Deutschland mehr zusammen als die Hoffnung auf einen Sieg im blutigsten europäischen Krieg seit Menschengedenken. Die gesamte alte Ordnung zerfiel. Auftände erschütterten das Reich. Der Kaiser dankte ab. Am 9 .November rief Philipp Scheidemann in Berlin die Republik aus.
Auch den Alliierten war klar, dass die Deutschen den Krieg verloren gegeben hatten. Sie stellten harte Forderungen: Deutschland musste Elsass-Lothringen aufgeben, seine Armeen sofort aus Frankreich und Belgien zurückziehen, alle linksrheinischen Gebiete demilitarisieren, alle U-Boote abliefern und große Mengen Kriegs- und Transportmaterial übergeben. Alle alliierten Kriegsgefangenen waren sofort freizulassen, deutsche Kriegsgefangene blieben zunächst in Gewahrsam. Die britische Blockade der deutschen Seehäfen blieb bestehen. Alle diese Bedingungen waren nicht verhandelbar.
Der Zentrumspolitiker Matthias Erzberger setzte als Vertreter der eben geborenen Republik am 11 .November 1918 seine Unterschrift unter den Waffenstillstandsvertrag. Angesichts der Aufstände im Reich und der Meuterei der Marine blieb ihm keine Wahl. Es ist bemerkenswert, dass die beiden obersten Militärs, Feldmarschall Hindenburg und General Ludendorff, nicht gezwungen wurden, das Dokument ihres Scheiterns zu unterschreiben.
Bereits unmittelbar nach dem Ende des Ersten Weltkriegs am 11 .November 1918 verbreitete sich in Deutschland die These, dass die deutschen Truppen niemals militärisch besiegt worden seien, sondern wegen der mangelnden Unterstützung der zivilen Kräfte in Deutschland kapitulieren mussten. Bis Ende 1918 kam das Wort vom »Dolchstoß in den Rücken der kämpfenden Truppe« auf. Der sozialdemokratische Reichspräsident Friedrich Ebert begrüßte die heimkehrenden Soldaten am 10 .Dezember 1918 in Berlin mit den Worten:
»Kein Feind hat euch überwunden! Erst als die Übermacht der Gegner an Menschen und Material immer drückender wurde, haben wir den Kampf aufgegeben.«
In Wahrheit aber konnte Deutschland den Krieg bereits nach der Marneschlacht im September 1914 militärisch nicht mehr gewinnen.
Bei Kriegsbeginn mobilisierten die Mittelmächte Deutschland und Österreich 3 , 8 Millionen Soldaten, die Alliierten 5 , 8 Millionen. Ferner mussten die Mittelmächte sowohl im Osten als auch im Westen kämpfen. Um diesen Nachteil auszugleichen, planten die deutschen Militärs, durch das neutrale Belgien zu marschieren, um die starken französischen Festungen an der deutschen Grenze zu umgehen. Auf diese Weise wollten sie in wenigen Wochen Paris einnehmen und Frankreich zum Waffenstillstand zwingen. Danach sollten alle Truppen gegen Russland geführt werden, denn die russische Kriegsmaschinerie lief so langsam an, dass sie in den ersten Kriegswochen kaum handlungsfähig
Weitere Kostenlose Bücher