Freimaurer, Illuminaten und andere Verschwörer
Bürgerliche wurden Mitglieder von Freimaurerlogen, darunter auch der Kronprinz von Preußen und spätere König Friedrich II . Innerhalb der Logen gab es keine Standesunterschiede, es galt nur die innere Hierarchie. Private übernationale Organisationen mit hochrangigen und einflussreichen Mitgliedern hatte es vorher in diesem Ausmaß nicht gegeben. Die Freimaurerbewegung löste deshalb heftige Reaktionen aus. Bis heute gilt die Mitgliedschaft in einer Freimaurerloge als unvereinbar mit der Mitgliedschaft in der katholischen Kirche. Auch staatliche Stellen und konservative Kreise betrachteten die Logen mit Misstrauen. Es entstand eine lebhafte Literatur über die Freimaurer mit teilweise abenteuerlichen Spekulationen über ihre Rituale und Absichten.
Sowohl die katholische Kirche als auch die russisch-orthodoxe Kirche gaben sich im neunzehnten Jahrhundert ausgesprochen fortschrittsfeindlich und antiliberal. Dazu gehörte auch die Verdammung des Freimaurertums und ein kaum verhüllter, in Russland sogar ausgesprochen aggressiver Antisemitismus. Das Misstrauen gegen die Juden war auch in der evangelischen Kirche weit verbreitet, in Deutschland beispielsweise tat sich besonders der Berliner Hofprediger Adolf Stoecker hervor.
Der neu aufkommende wirtschaftliche Wettbewerb mit jüdischen Konkurrenten belebte auch im Bürgertum den Antisemitismus. In Russland begann mit der Ermordung des Zaren Alexander II ., eines vorsichtigen Modernisierers, im Jahre 1881 das reaktionäre Regime seines Sohns Alexander III . Unter den Attentätern seines Vaters war auch die Jüdin Gesja Helfman. Dies lieferte den Vorwand für einen staatlich sanktionierten Antisemitismus.
Die Regierung ließ einen großen Teil der Moskauer Juden (etwa 12 000 ) vertreiben. Der Rest blieb, jedoch unter äußerst schwierigen Lebensbedingungen. In ganz Russland häuften sich die Pogrome. Die Polizei ging meist nicht dagegen vor oder beteiligte sich sogar daran. Hetzschriften gegen Juden und Freimaurer erschienen um die Jahrhundertwende in nie gekannter Zahl. In dieser Situation erschien in Russland das bisher erfolgreichste antisemitische und antifreimaurerische Pamphlet der jüngeren Geschichte:
Die Protokolle der Weisen von Zion.
Im Jahre 1903 veröffentlichte die rechtsradikale St. Petersburger Zeitung
Znamja
(Das Banner) in mehreren Fortsetzungen vom 28 .August bis 7 .September eine Schrift unter dem Titel
Programm der Eroberung der Welt durch die Juden
. Der Herausgeber Pawel Kruschewan war ein übler Antisemit, der bereits an der Anstiftung eines Pogroms in Kischinjow beteiligt war. Diese Schrift protokollierte angeblich eine Sitzung des »Weltbundes der Freimaurer und Weisen von Zion«, auf der die Teilnehmer die Übernahme der Weltherrschaft vorbereiteten und die Struktur eines jüdischen Weltstaates entwarfen. Der unbekannte Autor bediente alle antisemitischen Stereotypen seiner Zeit. Er brandmarkte die Juden als Kommunistenfreunde, Lügner, Kapitalisten, Terroristen, Christenfeinde und Unterdrücker. Allerdings hatte die Zeitung eine geringe Auflage, und die Schrift fand wenig Beachtung.
Eine deutlich erweiterte Fassung erschien zwei Jahre später unter dem Titel
Die Protokolle der Weisen von Zion
als Anhang zur zweiten Auflage des Buches
Das Große im Kleinen
des religiösen Schriftstellers Sergej Nilus. Das apokalyptisch angehauchte Buch warnte vor dem bald zu erwartenden Antichrist. Da passten die
Protokolle
als »Beleg« für eine jüdische Weltverschwörung natürlich gut ins Bild. Um die Person des Sergej Nilus haben sich eine ganze Reihe Legenden gebildet. So soll er ein orthodoxer Priester oder ein Mönch gewesen sein, ein Wandermönch gar, ein religiöser Fanatiker. Neuere Forschungen, inbesondere von Michael Hagemeister, zeichnen ein anderes Bild. In Wirklichkeit war Nilus als studierter Jurist kurze
Zeit im Staatsdienst tätig, um sich dann auf sein Landgut zurückzuziehen. Seine religiösen Traktate fanden in Russland eine große Leserschaft. Heute sind sie wieder in kirchlichen Buchhandlungen des Landes zu haben. Mit seinem Gut hatte er nicht so viel Glück wie mit seinen Büchern: Er wirtschaftete es völlig herunter und lebte später als religiöser Schriftsteller in verschiedenen Klöstern.
Die
Protokolle der Weisen
im Anhang seines Buches
Das Große im Kleinen
machten den russischen Zensoren einiges Kopfzerbrechen. Man konnte sie durchaus als Kritik an den zeitgenössischen Zuständen im Zarenreich lesen – und das hätten
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