Freimaurer, Illuminaten und andere Verschwörer
die Zensoren natürlich verbieten müssen. Doch Nilus gelang es schließlich, sein Buch mitsamt Anhang zu veröffentlichen und damit einiges Aufsehen zu erregen. Die
Protokolle
in der Fassung von Nilus verbreiteten sich nach der Russischen Revolution in nur wenigen Jahren über die ganze Welt.
Vorlagen und Entstehung
Die Vorgeschichte der
Protokolle
liegt im Dunkeln. In weiten Teilen beruhen sie offensichtlich auf dem Werk
Dialogue aux enfers entre Machiavel et Montesquieu
(Dialog in der Hölle zwischen Machiavelli und Montesquieu) des französischen Schriftstellers Maurice Joly. Darin erläutert Machiavelli dem staunenden Montesquieu den amoralischen Gebrauch der Macht in der modernen Welt. Joly hatte seinen Text als Satire auf die Regierung von Napoleon III . geschrieben. Er legte Machiavelli genau die Dinge in den Mund, die Napoleon III . tatsächlich tat. Vorsichtshalber ließ Joly sein Werk im Jahre 1864 anonym in Belgien veröffentlichen, aber die Polizei in Frankreich ermittelte ihn trotzdem sehr bald als Autor. Seine gelungene Satire war der französischen Justiz 15 Monate Gefängnis wert.
Der Autor der
Protokolle
passte die Schrift von Joly den russischen Verhältnissen an; etwa 40 Prozent der
Protokolle
sind als direktes
Plagiat anzusehen. Hinzu kamen Motive aus dem 1868 erschienenen Kolportageroman
Biarritz
des deutschen Autors Hermann Goedsche. Unter dem Pseudonym Sir John Retcliffe schrieb der erzkonservative preußische Journalist Goedsche zwischen etwa 1835 und 1870 eine ganze Reihe von Kolportageromanen mit teilweise grausamen und pornographischen Inhalten. Er vertrat dabei eine konsequent antidemokratische und – schon für seine Zeit – reaktionäre Linie. Trotzdem waren seine Romane populär. In
Biarritz
lässt er Vertreter der zwölf Stämme Israels nachts auf dem jüdischen Friedhof in Prag zusammenkommen und über ihre Fortschritte bei der Erringung der Weltherrschaft berichten. Sie wissen nicht, dass zwei heimliche Zuschauer Zeuge der Sitzung werden. Die beiden hören entsetzt, dass die Juden unter anderem vorhaben, die Börsen zu beherrschen, den Adel in Schulden zu stürzen, die Industrie gegen das Handwerk zu stärken, Staat und Kirche zu trennen, Revolutionen anzufachen, Juden den Zugang zum öffentlichen Dienst zu ermöglichen, sich mit Christen zu vermischen, um deren Rasse zu verschlechtern, die Presse zu übernehmen und Kriege zu führen.
Die Szene ist völlig überzogen. Goedsche legte den Juden verschiedene Forderungen der zeitgenössischen Liberalen in den Mund, die angeblich die Christenheit unter die Herrschaft der Juden zwingen würden. Dazu kommen erste Ansätze der antisemitischen Rassenideologie. Goedsche war in seinen Romanen übrigens schnell zur Hand, anderen Gruppen böse Absichten zu unterstellen. Im Roman
Biarritz
waren es die Juden, in anderen Romanen die Engländer, die Franzosen, die Freimaurer, die Jesuiten oder die Sozialdemokraten – solche Gruppen also, denen ein reaktionärer protestantischer Preuße äußerstes Misstrauen entgegenbrachte.
Die Darstellung der Juden als grausam, verschlagen und zynisch wirkt selbst im Rahmen eines Trivialromans lächerlich. Trotzdem wurde diese Szene als angeblich wahrer Bericht ab den siebziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts in ganz Europa veröffentlicht. Den Anfang machte ein russisches Pamphlet im Jahre 1870 . Die bei Goedsche noch getrennten Reden der einzelnen Stämme
wurden dabei zur »Rede des Rabbi« zusammengefasst, und Goedsches Pseudonym »Sir John Retcliffe« mutierte zu »Readclif«, der entweder als Oberrabbiner oder als tragischer antisemitischer Held auftrat.
Aus einer französischen Satire und einem deutschen Schauerroman also montierte der Autor der
Protokolle
knapp die Hälfte seines Textes.
Seine Identität kennen wir bis heute nicht, deshalb gibt es eine ganze Reihe von Theorien. Nach der gängigsten hat Pjotr Ratschkowski, der Leiter des Russischen Auslandsgeheimdienstes, die
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gefälscht oder fälschen lassen, um im Auftrag reaktionärer Kreise die Reformpolitik des russischen Finanzministers Sergej Witte anzugreifen. Ratschkowski zog es vor, in Paris zu wohnen, und richtete auch seine Behörde dort ein.
Eventuell hat auch der russische Publizist Elia de Cyon, ein erbitterter Feind Wittes, eine erste Fassung der
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geschrieben, die Ratschkowski dann vollendete. Zwei Zeugen wollen eine französische Urschrift der
Protokolle
gesehen haben. Allerdings sind ihre Aussagen
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