Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Freimaurer, Illuminaten und andere Verschwörer

Freimaurer, Illuminaten und andere Verschwörer

Titel: Freimaurer, Illuminaten und andere Verschwörer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Grüter
Vom Netzwerk:
abtritt.
In der siebten Sitzung will der Vortragende Streit zwischen die Staaten Europas tragen und die Diplomatie restlos verwirren. Wenn ein Staat den Juden Widerstand leistet, sollen die Juden seine Nachbarn zum Krieg gegen ihn aufstacheln. Wenn alle
Staaten Widerstand leisten, sollen die Juden einen Weltkrieg entfesseln. Und wenn alles nichts hilft, will der Vortragende »amerikanische, japanische und chinesische Geschütze« zu Hilfe rufen, um die nichtjüdischen Staaten Europas niederzuzwingen.
In der zehnten Sitzung hingegen sollen mit den Juden verbündete Freimaurerlogen sowie das allgemeine Wahlrecht und »das Gift der Liberalität« die Staaten Europas so weit schwächen, dass der jüdische König sie kampflos übernehmen kann. Die Freimaurerlogen sollen alle Verfassungen beseitigen und heimlich die Alleinherrschaft übernehmen.
In einer weiteren Variante schließlich sollen die Völker durch Unruhen, Streit, Seuchen und Kriege dazu gebracht werden, die Herrschaft freiwillig in jüdische Hände zu legen (ebenfalls zehnte Sitzung).
     
    Der zweite Teil der
Protokolle
befasst sich mit dem Aufbau des künftigen Königreichs Zion. Darin soll die Justiz unbestechlich, die Beamten ehrlich und fleißig sein (bei strengen Strafen für Fehlverhalten). Die Presse ist gleichgeschaltet. Die Massen werden gut gefüttert und unterhalten, um sie ruhig zu stellen. Geheimbünde sind verboten, jede Opposition wird unterdrückt. Der Geldverkehr ist genau geregelt. Die Arbeitslosigkeit wird beseitigt, die Trunksucht verboten, der Luxus reglementiert, jeder hat seinen zugewiesenen Platz. Schwache Könige müssen abdanken, schwache Königssöhne auf Thronansprüche verzichten. Der unbekannte Autor der
Protokolle
breitet hier das Idealbild eines paternalistisch-autokratischen Staates aus – so ideal, dass es bereits zur Karikatur wird. Der König und seine Berater regieren weise und gerecht. Wer aufmuckt, wird streng bestraft, wer sich fügt, hat sein gutes Auskommen.
    Wollte der Autor dem Zaren den Aufbau eines autokratisch-totalitären Wohlfahrtsstaates empfehlen, um sein Reich zu stabilisieren? Oder zeichnet er das Judenreich als Modell einer perfiden und fast unüberwindbaren Fremdherrschaft? Allein aus dem Text kann man das nicht entscheiden.
    Insgesamt zeigen die
Protokolle
die Welt aus der Sicht eines reaktionären Monarchisten in Russland zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts. Er klagt über den Niedergang alter Werte und Herrschaftsformen und über die eklatante Charakterschwäche des Zaren Nikolaus II . Daher stammt wohl die Anspielung auf den Ausschluss schwacher Königssöhne von der Thronfolge. All das lastet der Autor den Juden an. Diese Schuldzuweisung war im antisemitisch geprägten Umfeld russischer Nationalisten zu dieser Zeit durchaus nicht ungewöhnlich. Nun könnte man vielleicht annehmen, dass der Autor, aufbauend auf der Satire von Maurice Joly, eine scharfe Kritik an den russischen Verhältnissen schreiben wollte und die Juden nur vorgeschoben hat. Davon könnte er sich versprochen haben, die russische Zensur zu umgehen, die eine direkte Kritik vermutlich nicht genehmigt hätte. Jedoch enthalten die
Protokolle
einige wüste antisemitische Ausfälle in der Form von Selbstbezichtigungen des Vortragenden.
    »Von uns geht das Schreckgespenst, der allumfassende Terror aus«
und
»Wir verfügen über ungeheuren Ehrgeiz, brennende Habgier, unnachsichtige Rachsucht und unerbittlichen Hass«,
heißt es in der neunten Sitzung. Und in der elften Sitzung:
»Die Nichtjuden sind eine Schafherde, wir Juden aber sind die Wölfe.«
    Die Darstellung der Juden in den
Protokollen
als angebliche Verderber der Christenheit ist also nicht zur Umgehung der zaristischen Pressezensur gedacht, sondern sie entspringt der ausdrücklich antisemitischen Absicht des Autors: Er
will
die Juden verleumden. Er nutzt nicht nur die antisemitischen Klischees seiner Zeit, er führt sie sogar weiter aus als viele seiner Zeitgenossen.
    Die
Protokolle
sind so eng an die russischen Verhältnisse um 1900 angelehnt, dass eine Entstehung in Frankreich nahezu ausgeschlossen ist. Nicht nur die Inhalte, sondern auch die Auslassungen deuten darauf hin. Es fehlen alle Hinweise auf politische Ereignisse in Frankreich nach der Revolution. Der verlorene Krieg gegen Preußen 1870 / 71 , die Dreyfusaffäre, die Furcht vor Jesuitenverschwörungen, die Illuminaten als Verbündete der Juden – das alles
erwähnen die
Protokolle
mit keinem Wort. Auch die

Weitere Kostenlose Bücher