Freiwild
erwarten, dass endlich Feierabend war. Ungeduldig saß ich in meinem Zimmer und kontrollierte zum hundertsten Mal mein Postfach; leider kam aber keine Nachricht mehr von Ralf. Offensichtlich hatte er sich nach unserer kurzen Unterhaltung via Intranet doch dazu entschlossen zu arbeiten.
Es klopfte und ich ging zur Tür. Als ich aufmachte, kam mir ein Private entgegen, den ich bisher noch nicht gesehen hatte. Mit breitem, nordamerikanischem Akzent überreichte er mir ein kleines Päckchen, dann drehte er sich schnurstracks um und ging den Gang entlang zurück. Ich hatte keine Gelegenheit gehabt, ihn zu fragen, vom wem das Päckchen hätte sein können oder wer ihm den Auftrag dazu erteilt hatte. Ich stand in der Tür, mit dem Päckchen in der Hand und untersuchte es, aber außer dem NATO-Siegel war nichts darüber herauszufinden. Neugierig setzte ich mich an meinen Schreibtisch und öffnete es.
Eingewickelt in braunes Packpapier kamen drei schwarze Seidentücher zum Vorschein. Es war immer noch kein Hinweis darauf zu entdecken, wer mir ein solches Präsent hatte zukommen lassen. Kein Absender, kein Kärtchen war dabei. Ich ahnte, dass die Tücher von Ralf kamen, war mir aber nicht sicher. Warum aber gerade drei? Alle schwarz? Hatte es Mengenrabatt gegeben? Ich war ratlos, musste aber warten, bis ich Ralf fragen konnte. Meine Neugier und meine Geduld wurden auf eine harte Probe gestellt. Seit dem Überfall auf mich war es mir am liebsten, ich konnte meinen Hals bedeckt lassen und trug sehr oft ein Halstuch oder einen Schal. Aber das konnte doch nicht der Grund für ein solches anonymes Präsent sein, oder? Nachdenklich knetete ich an den Tüchern herum, aber mir wollte beim besten Willen nichts einfallen.
Nach Dienstschluss kam Ralf zu mir in mein Zimmer. „Oh, ich sehe, du hast das Paket erhalten?“. Sein Grinsen ging ihm bis zu den Ohren und ich sah den Hauch einer Rötung auf seinen Wangen. Also war das Päckchen von ihm gewesen. „Ja, habe ich, aber ich weiß nicht so recht, was das zu bedeuten hat...?“ Unsicher schaute ich ihn an. Was konnte er nur ausgeheckt haben? Mir fiel auf, dass er sehr formal gekleidet war. Üblicherweise machte er es sich in seiner steifen Uniformjacke sofort bequemer, sobald er die Gelegenheit dazu hatte und öffnete den Kragen. Nun stand er vor mir, die Jacke bis zum Hals zugeknöpft, sein rotes Barett auf den schwarzen Haaren, die Hose in den schweren Stiefeln. Er stand stramm vor mir, breitbeinig, die Hände im Rücken zusammen und wirkte dadurch noch größer und eindrucksvoller, als er ohnehin schon war. Er war bemüht, ein ernstes Gesicht aufzusetzen, aber seine Mundwinkel zuckten und ich sah die kleinen Grübchen auf seinen Wangen, die ich an ihm so sehr mochte.
„Hast du wirklich keine Idee?“. Ich schüttelte den Kopf, und seine Gesichtshaut wurde noch einen Hauch röter als sie ohnehin schon war. So wie er da vor mir stand und verlegen schaute, erinnerte er mich plötzlich an ein kleines Kind, das etwas ausgefressen hatte und auf seine Strafe wartete. Ich lächelte ihn an und ermutigte ihn, mir Erklärungen zu liefern: „Nein, ich habe nicht die geringste Idee, was du vorhast. Sagst du es mir?“. Sein Blick wanderte auf seine Stiefelspitzen und die Röte in seinem Gesicht breitete sich bis zu seinen Ohren aus. Offensichtlich war es ihm äußerst peinlich und er druckste herum.
„ Du hast oft davon gesprochen, wie hilflos du dich gefühlt hast...“, begann er erst zögernd, „und dass du Angst hast und so...“. Einmal angefangen, sprudelten die Worte nur so aus ihm heraus.
„ Naja, und da habe ich mir so gedacht, ich möchte dir das gerne nachfühlen können. Ich möchte wissen, was du so fühlst und ich möchte, dass du dich sicher fühlst. Mach mich hilflos. Benutze mich. Wenn du mich mit den Tüchern fesselst, dann kann ich dir nichts mehr tun. Ich mein', das würde ich auch so nicht, aber vielleicht fühlst du dich dann sicherer. Ich tue einfach nur das, was du mir sagst.“ Ralf hatte seinen Kopf immer noch gesenkt, schaute mich jedoch jetzt verlegen und spitzbübisch an. „Wäre das okay für dich?“
Ich war gerührt, dass er sich solche Gedanken um mich gemacht hatte. Da stand ein hünenhafter Soldat vor mir und bat darum, mit Seidentüchern von einer kleinen Frau gefesselt zu werden.
Die Idee war einen Versuch wert. Das hatte ich bisher noch nicht ausprobiert.
„ Knie dich hin“, befahl ich ihm kichernd. Die Situation hatte irgendwie etwas
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