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Freiwild

Freiwild

Titel: Freiwild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anja Belle
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solch einer Situation ähnlich professionell arbeiten, aber mein Mitleid war einfach übermächtig. Konnte man tatsächlich so zwischen Dienst und Gefühlen unterscheiden? Vermutlich nicht. Aber auch hier wirkte die Uniform wie ein Schutzpanzer. Pflicht ist Pflicht. Gefühle kamen hier nicht vor. Es war ja auch wichtig, dass sie rational blieben. Heulende Soldaten, die unfähig waren zu handeln, nützten niemandem etwas. Ich nahm mir ein Beispiel und setzte die Kamera wieder an. Es war meine Pflicht und Aufgabe, mit meinen Bildern andere vor demselben Schicksal zu beschützen. Arbeitete ich jetzt nicht professionell, würden die Bilder nicht zu gebrauchen sein. Da sich die Situation hoffentlich nicht wiederholen würde, achtete ich peinlich genau auf die Kameraeinstellungen, die ich sonst oft der Automatik überließ. „Reiß dich zusammen, Anne!“, ermutigte ich mich selbst. Meine Kamera war meine Uniform, die mich vor Emotionen schützen sollte. Ich musste einen klaren Kopf behalten, so schwer mir das auch fiel.
    Durch den Sucher sah ich, wie ein Hubschrauber der US Armee ankam und schöpfte Hoffnung. Die Kinder würden gerettet werden. Bestimmt. Ich drückte alle Daumen, dass die Minen nicht von der Druckwelle des Rotors hochgehen würden. Vom Hubschrauber aus seilte sich langsam ein Soldat ab. Die Kinder riefen und wedelten hektisch mit ihren Armen. Der Soldat band um das Kind, das ihm am nächsten war, eine Art Tragegeschirr und hielt es fest im Arm. Er wurde wieder hochgezogen. Das wiederholte sich solange, bis er alle Kinder im Bauch des Hubschraubers abgeliefert hatte. A lle an Bord. Ich atmete auf. Als der Helikopter abdrehte, kam eine Windböe, die ihn kurz nach unten drückte. Dieser Höhenunterschied von vielleicht ein oder zwei Metern reichte aus, um die Minen auf der Wiese zur Explosion zu bringen. Es tat mehrere gewaltige Schläge und es klingelte mir in den Ohren. Feuerbälle stiegen nach oben. Trümmerteile und Erdbrocken flogen durch die Luft und ich ging in Deckung. Als sich der Dreck gelegt hatte, sah ich anstatt der Wiese nur noch ein großes, dreckiges Loch. Der Hubschrauber taumelte einen Moment lang oberhalb der Wiese, fing sich aber wieder und drehte ab. Wenn die Kinder nicht schon im Hubschrauber gewesen wären, wäre da niemand mehr am Leben. Ich hatte zwar geahnt, dass es knapp war, aber ich hatte mir nicht vorstellen können, um welche Haaresbreite es hier tatsächlich gegangen war. Der Minenkrater vor mir belehrte mich und ich sah, wie gefährlich der Krieg in Wirklichkeit noch immer war. Hier ging es immer noch tagtäglich um Leben und Tod. Hektisch suchte ich mit den Augen nach Ralf, konnte ihn aber etwas weiter entfernt stehen sehen. Ich atmete auf und dankte im Geiste der Armee, ihre Soldaten so gut ausgebildet zu haben. Unvorstellbar, es wäre dabei etwas schief gelaufen. Dieser Soldat, der sich abgeseilt hatte, hatte sein Leben aufs Spiel gesetzt für ein paar Kinder, die er überhaupt nicht kannte. Meine Bewunderung war grenzenlos und ich war aufs Äußerste beeindruckt von der Selbstlosigkeit, die sich mir hier gezeigt hatte.
    Auf dem Rückweg legte sich die Anspannung, die sich die ganze Zeit bei Ralf und seinen Kameraden angestaut hatte. Zurückgehaltenes Adrenalin pumpte jetzt durch ihre Körper und es war erschütternd, wie unterschiedlich die einzelnen darauf reagierten. Einige waren aufgedreht, andere saßen still in der Ecke und weinten lautlos. Jetzt, hier in diesem Jeep, war eine dienstfreie Zone. Da konnte man seinen Gefühlen freien Lauf lassen. Ich nahm still Ralfs Hand und drückte sie. Er saß geistesabwesend neben mir, schaute mich dann aber dankbar an. „Ich bin froh, dass es dir gutgeht.“, murmelte er. Offenbar hatte er sich auch um mich Sorgen gemacht. Einerseits berührte es mich, dass hinter den Uniformen doch normale Menschen steckten, andererseits fühlte ich mich genauso. Auch ich hatte meine Gefühle zurückhalten müssen, um meinen Job erledigen zu können. Jetzt, nachdem alles vorbei war und die Kinder gerettet waren, kamen auch meine Emotionen hoch und gingen mit mir durch. Wieder zückte ich meine Kamera. Das war genau das, was ich dokumentieren wollte. Menschen in ihrem Dienst; heulend und lachend gleichzeitig.

Kapitel 15
    Es war seltsam, wie sehr sich meine Einstellung zu den Dingen geändert hatte. Als ich im Camp ankam, war ich jung und naiv gewesen. Ich wollte meinen Spaß. Den hatte ich auch bekommen, aber es hinterließ, rückblickend

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