Freiwild
darf ich dir zeigen? Willst du mal in einen Panzer reingucken? Oder untendrunter?“ Er war nicht mehr zu stoppen. Voller Begeisterung sprudelte er los und ließ mir überhaupt keine Zeit zu antworten. Ich grinste ihn an und lachte, unfähig, mich gegen seinen Elan zu wehren: „Zeig mir einfach alles, ich habe nämlich überhaupt keine Ahnung davon.“
Den ganzen Vormittag über zeigte er mir alle seine 'Babys', wie er die Panzer nannte. Ich bekam jede Schraube einzeln erklärt, so kam es mir vor. Dabei hatte Micha lustige Geschichten auf Lager und die Zeit verging wie im Flug. Obwohl ich nicht sonderlich technikbegeistert war, war es einfach faszinierend, wenn Micha etwas erklärte. Wir kletterten unter und über Panzer, gingen an ihnen vorbei und zu jedem Baby hatte Micha technische Daten, Lebenslauf und Kosename parat. Oft war dieser Spitzname in weißen Pinselstrichen auf das Heck gemalt, neben vielen anderen Schildern und Bezeichnungen, deren Sinn mir aber verschlossen blieb. Nebenbei tätschelte er mal hier fast zärtlich ein Blech, dann rief er einem der umstehenden Mechaniker etwas zu, wenn er ein loses Teil entdeckte. Ich durfte in einem Luchs Platz nehmen und war erschüttert darüber, wie wenig der Fahrer von seinem Steuerplatz aus sehen konnte und wie eng und stickig es war. Micha lag bäuchlings über der Einstiegsluke und erklärte mir Hebel für Hebel jede Funktion. Dann tauschten wir die Plätze; Micha setzte sich auf den Fahrersitz und ich wunderte mich, dass er überhaupt noch Platz zum Atmen fand. Er war mindestens doppelt so groß und schwer wie ich, vom Umfang ganz zu Schweigen, und ich hatte schon kaum Platz gehabt. Ich beugte mich über die Luke und ließ meinen Kopf und die Arme mit der Kamera in den Innenraum hängen. Mir war nicht bewusst, wie sehr ich mein Hinterteil in der engen Jeans oben auf dem Panzer in die Luft gestreckt hatte.
Plötzlich fühlte ich ein Tätscheln auf den Pobacken. Ich erschrak und rempelte mir den Kopf im Panzer an. „ Autsch!“, dann ließ ich die Kamera auf Michas Schoß fallen, der sie geschickt auffing. Ich richtete mich auf und sah einen amerikanischen Private neben mir stehen, frech grinsend. Er hatte noch kindliche Züge und war bestimmt nicht älter als maximal zwanzig. Ich überlegte nicht lange. In einer einzigen fließenden Bewegung holte ich aus und gab ihm eine schallende Ohrfeige. Seine Kameraden, die die Szene im Hintergrund beobachtet hatten, fingen an zu kichern. „Don't!“, fauchte ich ihn an und starrte böse. Er lief rot an, entschuldigte sich und trollte sich von dem Panzer herunter. Michas Kopf erschien in der Luke und er fragte:“Was ist denn hier los?“, aber ich winkte ab. Der Private war mit seinem roten Handabdruck auf der Backe und der Schadenfreude seiner Kameraden genug bestraft und würde sich sicher das nächste Mal zweimal überlegen, so etwas zu tun. Ich wunderte mich selbst über meine Reaktion. Noch vor vier Wochen hätte ich nicht so souverän mit einem überraschenden Angriff auf meinen Körper umgehen können, sondern wäre panisch geworden. Dank Ralf und seiner Geduld konnte ich das als Kleine-Jungen-Streich abtun. Ich nahm mir vor, ihm das zu erzählen. Er wäre sicher stolz auf mich, die Sache so gemeistert zu haben und die Situation so zu nehmen, was sie war: nichts weiter Beunruhigendes.
Bald fing mein Magen laut an zu knurren, es war schon weit nach Mittag. Ich hatte die Zeit völlig vergessen. Es war alles so interessant gewesen und meine Kamera glühte förmlich bei so vielen Aufnahmen. Micha blieb das Geräusch nicht verborgen und er grinste: „Hunger? Kein Wunder, an dir ist ja auch überhaupt nichts dran! Hast du Lust auf ein Mittagessen unter uns Männern? Ich könnte auch ein Häppchen vertragen.“ Ich nickte. Tatsächlich hatte ich regelrechten Kohldampf. Ich wollte schon den Weg zur Kantine einschlagen, aber Micha hielt mich zurück. „Nee, kleines Fräulein, die echten Männer essen nicht zusammen mit den Schlipsträgern. Wir haben unsere eigene Messe.“ Micha war davon überzeugt, dass zu echten Männern der Geruch von Maschinenöl und Diesel unbedingt dazugehörte und dass in der Mannschaftskantine nur Leute saßen, die Angst vor Dreck hatten. Ohne eine gewisse Schicht Maschinenöl auf den Fingern würde gar nichts so richtig schmecken. Ich lachte, und gemeinsam gingen wir in die Instandsetzungsmesse, die sich in einem kleinen Nebenraum der Werkstatthalle befand. Ich hielt Micha an seiner
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