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Freiwild

Freiwild

Titel: Freiwild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anja Belle
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Schulter fest und zog ihn zu mir herunter, so dass ich auf seinen Dienstgrad blicken konnte: „Du bist Unteroffizier, oder?“. Ich hatte zwar nachgeforscht, was die einzelnen Abzeichen bedeuteten, aber so ganz sicher war ich mir in den wenigsten Fällen. „Das bin ich!“, Micha lachte stolz und streckte die Brust raus. „Aber bist du dann nicht auch ein 'Schlipsträger'?“. Er schüttelte den Kopf, als hätte ich etwas Unanständiges zu ihm gesagt: „Ne, ne, ne, kleines Fräulein. Hier zwischen meinen Babys herrschen andere Regeln. Wer erst mal im Öl gepanscht hat, der achtet da nicht mehr so drauf. Hier sind wir alle mehr oder weniger gleich.“ Zufrieden biss er in sein Brötchen. Aber bevor ich meines zum Mund führen konnte, kam ein Soldat in die Messe geeilt. Er sah aus, als ob er hierher gerannt war. Die Dringlichkeit seines Auftrages war ihm ins Gesicht geschrieben. Völlig außer Puste kamen seine Worte stoßweise aus ihm heraus: „Frau Hofmann? Kommen Sie schnell, ich soll Sie holen! Befehl vom Oberst!“. Erschrocken sprang ich auf. Was konnte das wieder bedeuten? War etwas mit Ralf? Ich ahnte Schlimmes. Micha war ebenso aufgesprungen, warf sein angebissenes Mittagessen auf den Tisch und rief mir zu: „Los, Fräulein, ich glaube, ich komm' besser mit“. Sein Gesicht bestand praktisch nur noch aus Besorgnis. Wir rannten über den Hof des Camps, dem abgehetzten Soldaten hinterher. Er brachte uns zur Mannschaftsmesse. Als wir eintraten sah ich, welcher Tumult hier herrschte. Die Kantine war voller Menschen, man hörte Kampfgeräusche. Ein Stuhl zerbrach krachend. Aber ich sah vor lauter Soldaten nicht was passierte und drängelte mich entschlossen durch die Zuschauer.
    „ Ralf!“, erschrocken schrie ich los. Er prügelte sich mit einem französischen Soldaten. Ralfs Nase blutete und seine Uniform war zerrissen. Wie ein Wilder ging er immer wieder auf den Franzosen los und ließ sich nicht mal mehr vom Oberst aufhalten, der ihn im Befehlston anschrie. Er war vollkommen irre und hatte komplett die Beherrschung verloren. Seine Kameraden versuchten verzweifelt, Ralf zu stoppen und zerrten an ihm herum. Ralf schnaubte wie ein Stier, seine Augen waren nur noch schmale Schlitze und sein Gesicht war wutverzerrt. Er war rasend. „Ralf!“, schrie ich erneut, und er drehte seinen Kopf langsam in meine Richtung. Seine Bewegungen stoppten endlich. Der Franzose flüchtete fluchend zu seinen Leuten und Ralf stand alleine da, in der Mitte der Umstehenden. Er ließ die Fäuste sinken. Schwer atmend senkte er den Kopf. Er war zu weit gegangen und das wusste er. Langsam kam er wieder zu Besinnung. Ich wollte zu ihm, aber Micha, der sich mittlerweile neben mich gestellt hatte, hielt mich am Ärmel zurück. „Misch dich da nicht ein!“, raunte er mir zu und so stand ich hilflos da und sah Ralf in die Augen. Ich versuchte, an seinem Blick abzulesen, was passiert sein könnte, aber er gab mir keinen Hinweis. Ich erschrak, als ich den hasserfüllten Ausdruck in seinen Augen wahrnahm. Wie gerne wäre ich jetzt zu ihm gelaufen und hätte ihn in den Arm genommen! Was konnte nur passiert sein, dass er so ausgerastet war? Oberst Breitenbacher trat vor: „Oberfeldwebel Baumann! Sie melden sich umgehend im Arrest!“. Ralf stand stramm und salutierte: „Oberfeldwebel Baumann tritt ab zum Arrest. Bitte wegtreten zu dürfen!“. Seine Kiefermuskeln traten vor, so sehr biss er die Zähne zusammen, um sich zu beherrschen. „Wegtreten!“. Der Oberst entließ ihn und Ralf konnte gehen. Was zum Teufel hatte er verbrochen? Was war in ihn gefahren? Die Versammlung löste sich auf. Ich wollte Ralf hinterher, aber Micha hielt mich immer noch am Ärmel fest: „Lass ihn gehen!“. Er wirkte resolut und ich wagte nicht, ihm zu widersprechen, obwohl mein Herz vor Kummer um Ralf schrie. „Micha, was geht hier vor?“. „Ich kenne nur einen Grund, warum Ralf so ausrasten könnte.“, Micha schaute grimmig, „Das letzte Mal, als Ralf so losgegangen ist, ging es um seine Frau.“ Ich musste unbedingt mehr wissen. Offenbar war da noch mehr als nur das, was Ralf mir erzählt hatte. „Micha, du weißt doch, was da war. Los, klär mich auf!“. Ich hoffte, in meine Stimme so viel Selbstvertrauen zu legen, dass er auf mich hören würde. Er war verlegen, aber erzählte mir schließlich, was passiert war. Seine damalige Frau war mit den ständigen Manövern und Wochenenddiensten der Bundeswehr nicht klar gekommen und hatte schwanger von

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