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Fremd fischen

Fremd fischen

Titel: Fremd fischen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Giffin
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Überraschung. Rachel geht lieber auf Nummer sicher.«Du?»
    « Ja. Ich würfele gern. Meine Glückszahl ist die Sechs – eine Vier und eine Zwei. Hast du auch eine?»
    « Nein … Na ja, ich hab gern einen Sechserpasch.»
Ich versuche meine Verzweiflung zu tarnen. Verzweifelte Frauen sind nicht attraktiv. Verzweifelte Frauen verlieren.
    « Wieso der Sechserpasch?»
    « Weiß ich nicht.»Ich habe keine Lust, ihm die Herkunft aus meiner Kindheit zu erklären, als ich mit meinem Vater Backgammon gespielt habe. Ich habe immer eine Lobeshymne für einen Sechserpasch gesungen, und wenn ich ihn dann würfelte, nannte mein Vater mich Box Car Willy. Ich weiß bis heute nicht, wer Box Car Willy ist, aber ich hatte es gern, wenn er mich so nannte.
    « Soll ich dir einen Sechserpasch würfeln?»
    « Ja.»Ich deute auf den schmutzigen Gehweg, um ihn bei Laune zu halten.«Los.»
    Wir bleiben an der Ecke 70th und Third Avenue stehen. Ein Bus schaukelt an uns vorbei, und eine Frau mit einem Baby verfehlt Dex nur knapp mit dem Kinderwagen. Er scheint nichts und niemanden um sich herum zu bemerken; er schüttelt die Würfel mit beiden Händen, und auf seinem Gesicht liegt ein Ausdruck von intensiver Konzentration. Wenn ich ihn so in Atlantic City sähe – in einem Polyesteranzug und mit einer goldenen Kette –, würde ich mich fragen, ob hier Haus und Lebensersparnisse auf dem Spiel stehen.
    « Um was wetten wir?», frage ich.
    « Wetten? Wir sind im selben Team, Baby», sagt er mit Zockerstimme, und dann bläst er kräftig auf die Würfel. Seine glatten Wangen blähen sich wie bei einem kleinen Jungen auf, der die Kerzen auf seiner Geburtstagstorte auspustet.
    « Jetzt wirf mir einen Sechserpasch», sage ich.
    « Und wenn ich es tue?»
    Wenn du einen Sechserpasch würfelst, kommen wir
zusammen. Keine Hochzeit mit Darcy , denke ich. Aber laut sage ich:«Es wird uns Glück bringen.»
    « Okay. Hier kommt dein Sechserpasch.»Er leckt sich die Lippen und schüttelt die Würfel noch heftiger.
    Die Sonne scheint mir in die Augen, als er die Würfel in die Luft wirft, sie lässig wieder auffängt und dann dramatisch den Arm zu Boden senkt, als wolle er eine Bowlingkugel rollen lassen. Er öffnet die Hand und spreizt die Finger, und die Würfel klappern über den Asphalt an der Ecke dieser verkehrsreichen Straßenkreuzung in Manhattan.
    Ein roter Würfel landet sofort auf der Sechs. Mein Herz macht einen Satz, und ich denke: Was ist, wenn … Wir bücken uns über den gelandeten Würfel und seinen kreiselnden Kollegen, der scheinbar eine Ewigkeit lang um seine Achse rotiert. Wenn man es darauf angelegt hätte, ihn so lange kreiseln zu lassen, wäre das niemals passiert. Aber jetzt steht er auf einer Ecke und dreht sich um sich selbst – verschwommene goldene Punkte auf rotem Hintergrund. Dann wird er immer langsamer und bleibt schließlich dicht neben dem anderen liegen. Zwei Reihen mit je drei Punkten.
    Sechserpasch.
    Box Car Willy .
    O Gott, denke ich … Keine Hochzeit mit Darcy! … Er redet von«ganz gleich, was geschieht», als ob jemand das Geschehen von oben lenke – aber bitte. Wenn’s so ist, da hast du’s. Zwei Sechsen. Unser Schicksal.
    Ich blicke von den Würfeln zu Dexter hoch und überlege, ob ich ihm sagen soll, um was es gerade wirklich gegangen ist. Er sieht mich mit offenem Mund an. Unser Blick kehrt zu den Würfeln zurück, als ob wir uns getäuscht haben könnten.

    Wie groß ist die Chance?
    Äh … exakt eins zu sechsunddreißig. Knapp drei Prozent.
    Also nicht gerade eins zu einer Million. Aber solche Statistiken sind irreführend, wenn man sie losgelöst von unserem Kontext betrachtet. Wir sind am Ende eines entscheidenden und bedeutungsvollen Wochenendes zu zweit. Und nur wenige Minuten bevor sich unsere Wege trennen werden (für heute? für immer?), kauft Dexter aus einer Laune heraus die Würfel, spielt damit herum, statt sie zu seinem ausgestopften Brontosaurus in die Tüte zu stecken, und mimt wie ein kleiner Junge den Zocker. Ich mache mit, obwohl ich keine Lust auf Spielchen habe. Dann entscheide ich – wenn auch nur im Stillen –, um was gewürfelt wird. Und er wirft einen Sechserpasch! Als wollte er sagen: Uns kann keiner was anhaben, Baby.
    Ich betrachte seine Achtundneunzig-Cent-(plus-Steuer-) Würfel so ehrfürchtig wie eine Kristallkugel in einem reich drapierten Raum, in dem die von der persischen Sonne gegerbte größte Wahrsagerin der Welt dir soeben gesagt hat, wie es war, ist, sein wird.

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