Fremd fischen
Okay, sage ich, dann warten wir auf einen Tisch. Ich suche in ihrem Gesicht nach irgendwelchen Anzeichen für eine Katastrophe. Aber da ist nichts Neues. Ihr Haar hat ein paar sonnengebleichte Strähnen bekommen. Sie trägt es in einem glatten Pferdeschwanz, tief im Nacken zusammengebunden. Tropfenförmige Aquamarine baumeln dicht unter ihren Ohrläppchen.
« Hab ich was im Gesicht?»Darcy wischt sich über die Wangen.
« Ich hab nur deine Ohrringe angeguckt. Sie sind hübsch. Neu?»
« Nein. Dex hat sie mir geschenkt, vor langer Zeit.»
« Wann denn? Zum Geburtstag?»
« Nein … ich weiß es nicht mehr genau. War nur so ein Geschenk.»
Ich bin plötzlich eifersüchtig, aber dann sage ich mir, dass sich seitdem viel verändert hat.
Darcy fragt, wie mein Wochenende war.
« Ganz okay», sage ich und bekomme Herzflattern bei dem bloßen Gedanken daran.«Du weißt ja … massig Arbeit. Und bei dir?»
« Wahnsinn. Du hättest da sein sollen. Superpartys. Superbands im Talkhouse. O Gott, wir hatten so viel Spaß. Du und Dex, ihr habt euch wirklich das falsche Wochenende zum Arbeiten rausgepickt.»
Du und Dex. Du und Dex. Du und Dex.
« Musste Dex denn die ganze Zeit arbeiten?», frage ich sicherheitshalber.
Sie verdreht die Augen.«Ja, was glaubst du denn? Ich heirate einen Workaholic.»
« Er kann doch nichts für seine Arbeitszeiten.»
Oder für seine Gefühle.
« Ja, ja, ja», sagt sie.«Aber ich gehe jede Wette ein, dass er die Hälfte von dem Geracker freiwillig übernimmt. Ich schwöre dir, er genießt das. Dabei kommt er sich wichtig vor.»Sie klingt ein bisschen abfällig. Vielleicht ist dies das Vorspiel zu ihrer Geschichte von einem Riesenkrach.
« Glaubst du?»
« Ich weiß es», sagt sie, während wir zu einem Tisch auf der Terrasse geführt werden.«Und du weißt wahrscheinlich schon, dass Hillary einen Typen kennen gelernt hat, oder?»
« Ja, sie hat davon erzählt. Hast du ihn gesehen?»
« Kurz.»
« Und wie fandest du ihn?»
« Sieht nicht übel aus. Nicht mein Typ – zu viel Kulturgetue. Aber trotzdem ziemlich süß. Wunder geschehen halt immer wieder.»
« Was soll denn das heißen?»Ich weiß nur zu gut, was es heißen soll: Dass Hillary einen süßen Typen kennen lernt, findet sie ziemlich unwahrscheinlich.
« Sieh sie dir doch an. Sie achtet kein bisschen auf ihr Äußeres. Die halbe Zeit benimmt sie sich nicht mal wie ein weibliches Wesen.»
« Ich finde sie hübsch.»
Jetzt komm mal zu dir , sagt der Blick, den sie mir zuwirft.
Ich denke an Hillarys zerknautschte Hose und an den abgesplitterten Nagellack am großen Zeh.«Aber dass sie nicht wie ein Girlie rumläuft, heißt doch nicht, dass sie nicht attraktiv ist.»
« Sie ist über dreißig. Sie muss anfangen, Make-up zu tragen. Dieser Natürlichkeitsquatsch ist seit den Siebzigern out.»
« Anscheinend ist Julian anderer Ansicht.»
« Na schön, wir werden ja sehen, wie lange es hält.»Sie taucht ihr Brot ihn ein Schälchen Öl.
Genau, wir werden sehen, wie lange es mit Dex und dir noch hält , denke ich und stelle mir die roten Würfel vor, die wohlbehalten in ihrer Altoids-Dose liegen. Und sofort überkommt mich Reue. Ich will nicht, dass sie verletzt wird. Ich wünschte, es gäbe eine Möglichkeit für Dex und mich, zusammen zu sein, ohne dass Darcy verletzt wird. Warum gibt es so selten ein Happy End? Ich konzentriere mich wieder auf Julian und Hillary.« Ich glaube, sie steht wirklich auf ihn», sage ich.
« Mhm», sagt sie und verdreht die Augen.«Du weißt , dass ihr Ex eine Neue hat, oder?»
« Ja. Natürlich weiß ich das. Aber Corey ist ihr völlig egal. Und sie hat mit ihm Schluss gemacht – schon vergessen?»
« Schön. Ja. Aber dann hat er was mit einer rattenscharfen Dreiundzwanzigjährigen angefangen und tänzelt damit vor ihren Augen im ‹Talkhouse› herum … und ausgerechnet da ist sie plötzlich davon überzeugt, dass dieser Julian ihr Typ ist? Zufall? Glaub ich nicht.»
Ich sage ihr, dass ich es gemein finde, wie sie redet.« Hör auf, es ihr mies zu machen.»
« Okay. Schön. Nächstes Thema.»Darcy betupft sich die Mundwinkel mit der Serviette.«Wann hast du zuletzt mit Marcus gesprochen?»
« Irgendwann letzte Woche.»
Sie beugt sich vor und verrät mir, dass er am Wochenende ein paar Mal von mir gesprochen hat.
« Das freut mich.»Ich schaue weiter auf die Speisekarte. Marcus kommt mir wie jemand aus der Vergangenheit vor.
Sie verzieht das Gesicht.«Was ist das für eine
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