Fremd küssen. Roman
in die Stereoanlage.
»Hier Turtle one, alles roger!«, quakt jemand zurück, der hoffentlich in der Pressestelle der Bahn arbeitet, was ich aber nicht glaube.
Ein Hin- und Hergezackere beginnt. Keiner ist zuständig und niemand weiß etwas von unserem Zug. Zum Glück habe ich den Vertrag und alle möglichen anderen schriftlichen Bestätigungen dabei, Henning spricht über das Walkie-Talkie mit Turtle one und der behauptet, der Mann, mit dem wir die Kooperation abgewickelt hätten, sei für drei Monate in Indien, um dort ehrenamtlich beim Bau eines Krankenhauses zu helfen, und er wüsste jetzt auch nicht. Ich hoffe, dass der Mann, mit dem wir die Kooperation getroffen haben, er heißt Schwindt, an Schwindsucht stirbt oder sich in dem Krankenhaus, das er baut, so verläuft, dass er nie wieder rausfindet.
Wir sind ratlos. Ich rufe Jo an. Der flippt fast aus. »Hab ich nicht gleich gesagt, dass du zu Hause bleiben sollst, Caro!«, motzt er mich an. »Dann hätten wir jetzt höchstwahrscheinlich keine Probleme.« Ich bin mit den Nerven so runter, dass ich anfange zu heulen. Henning reißt mir das Telefon aus der Hand und schreit, dass Jo mich in Ruhe lassen soll, das sei ja wohl das Letzte, mich in dieser Situation jetzt noch so fertig zu machen. Jo quakt laut irgendwas zurück, Henning sagt: »Nein! Du rufst jetzt da an und organisierst, dass irgendjemand hierher kommt. Wir können unmöglich alles absagen, die Karten sind verkauft, wir stehen hier mit Tonnen von Getränken und Essen und der Zug MUSS fahren!« Jo antwortet irgendetwas und Henning sagt »Okay!« und legt auf.
Wir setzen uns auf eine Palette Chips. Henning meint, Jo würde jetzt alles regeln, wir sollten hier warten, Jo riefe dann gleich zurück. Dann geht er zu einer anderen Palette, reißt sie auf und holt eine Flasche Sekt. »Ich brauche jetzt was zu trinken, ist mir egal, dass es erst halb elf ist«, sagt er. »O Mann, hoffentlich kriegen wir das Ding gewuppt.« Jo ruft kurze Zeit später an und meint, eine Putzfrau, die an irgendeiner Durchwahl drangegangen sei, habe ihm versprochen, in die Pressestelle zu gehen und jemand Kompetenten dazu zu bewegen, bei uns anzurufen. Hoffentlich hat sie kompetent nicht mit potent verwechselt. Sonst stehen gleich notgeile Schaffner oder Zugführer vor uns. Irgendwann klingelt das Telefon und jemand meldet sich mit »Pressestelle, guten Tag!«, woraufhin ich vor Freude fast wieder anfange zu weinen. Der Mann (»Sagen Sie bitte Hermann zu mir!«) entschuldigt sich vielmals und natürlich kommt gleich eine ganze Truppe von Mitarbeitern vorbei, die uns helfen werden, das Desaster zu bereinigen.
Alles wird gut, alles, alles.
Tatsächlich kommen kurze Zeit später einige Männer, einer hat sogar einen Schlüssel dabei, der passt.
Als ich in den Zug steige und die Tanzwagen besichtige, falle ich fast in Ohnmacht. Offensichtlich war ein Kegelclub vor uns unterwegs, dem ziemlich schlecht war, es riecht nach allem Möglichen, jedenfalls nicht gut.
Ein Schlauchwagen wird geholt und die Tanzwagen von oben bis unten abgekärchert. Ich stehe so ungünstig, dass mich der Schlauchmann aus Versehen trifft, und werde einmal komplett mit 200 bar durch den einen Tanzwagen geschleudert. Nachdem wir dann alle Getränke in die dafür vorgesehenen Kühlschränke geladen haben und ich fast einen Bandscheibenvorfall habe, stellt ein dicker Bahnmann fest, dass der Zug keinen Strom hat, sprich die Getränke nicht gekühlt werden können. Das muss irgendwie an dem Sicherungskasten liegen, meint der Mann, der Wulf heißt und ständig ganz fürchterlich aufstoßen muss. Das wäre sein Magen, meint er, er könnte Tabletten schlucken, so viel er wollte, es nützte gar nichts. Er öffnet den überdimensionalen Sicherungskasten und greift mit seinen Fingern, von denen einer so groß ist wie eine Salatgurke, in die frei liegenden Stromkabel, was aber nicht schlimm wäre, meint er, denn es wäre ja kein Strom auf den Kabeln. Dann untersucht er alles mit einem Spannungsprüfer.
Und dann explodiert der Sicherungskasten. Es gibt einen Schlag, dass ich denke, mein Trommelfell platzt, und aus allen Ecken und Enden sprühen zischend Funken.
Wulf schreit: »Ach du Scheiße« und springt aus dem zischenden Wagen. Wir hinterher.
Und dann sagt Wulf: »Des gibt en stille Salon!«
Hat irgendjemand Nerven für mich? »Wie meinen Sie das?«, fragt Henning.
Wulf ist außer sich. Sein ölverschmiertes Gesicht glänzt und er blitzt uns böse an.
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