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Fremde

Fremde

Titel: Fremde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gardner R. Dozois
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Welt oder sich selbst kennen oder den rechten Weg durch das Leben, wenn sie so dumm sind, daß sie andere Menschen für sich sehen lassen?«
    Ein wenig verletzt, konzentrierte Farber sich darauf, die Szene aufzunehmen, vertiefte sich in seine Arbeit. Er bemühte sich, das Bild in seiner Vorstellung mit dem wirklichen Anblick zur Deckung zu bringen, ein Vorgang, nicht unähnlich dem Fokussieren eines inzwischen überholten Kameraobjektivs. So konnte er ein Bild produzieren, das die Wirklichkeit gemäß seiner Vorstellung ergänzte und abwandelte. Er mischte seine subjektive Sicht des Lichtes hinein, akzentuierte den Bogen der Brücke ein wenig stärker, fügte eine drohend über der Altstadt aufragende Gewitterwolke hinzu, dann fixierte er sein Gedankenbild und betätigte den Recorder. Er hatte Liraun mit in das Bild einbezogen und ihre Pose subtil geändert, um sie etwas dramatischer wirken zu lassen. Sie spielte die Vordergrundfigur und merkte es: Sie grimassierte, ein langer Fangzahn schimmerte feucht, sie trat von einem Fuß auf den anderen und runzelte wieder die Stirn. Für einen Augenblick dachte Farber in einem überraschenden Anfall amüsierter Überlegenheit, sie fürchtete sich, ein »Bild« von sich machen zu lassen – wie gewisse primitive Eingeborene auf der Erde –, hätte Angst davor, daß die Maschine ihr ein Stückchen Seele stehlen könnte. Doch dann erkannte er, fast widerstrebend, daß dem nicht so war: Ihre Reaktion spiegelte viel komplexere Gefühle, ihre Ablehnung hatte eher ästhetische als abergläubische Gründe, die sich von einer unverständlichen Lebenseinstellung herleiteten, einem Mystizismus, der jenseits von Farbers Begriffsvermögen lag. Nun war er es, der die Stirn runzelte. Er hatte damit begonnen, sie fast als menschliche Frau zu betrachten – auf eine vage Art und Weise angesichts der Fremdartigkeit von Aei auf Farbers Seite stehend – und nun zertrümmerte die fremde Unergründlichkeit ihrer Gedanken diese Illusion, und er blieb fröstelnd und elend zurück.
    Schweigend gingen sie den Hügel vom Kalten Turm hinab zurück nach Lothlethren, während das Licht hinter ihnen in schwarzen und lavendelfarbenen Streifen am blaßblauen Himmel erstarb.
    Als sie die Ausläufer von Brundane erreichten, stießen sie im Hof der Glasbläser auf eine Art zeremonielle Aufführung. Sechs oder sieben Cian-Männer in bizarren Kostümen tanzten in der Mitte des Hofes zur schrillen Musik einer tikan und einer Nasenflöte, umgeben von einem Ring von etwa dreißig Zuschauern. Einige Tänzer schlugen trunkene Kapriolen mit großen, flatternden Fledermausflügeln auf dem Rücken, andere wanden sich rastlos wie knochenlose Würmer auf dem Bauch über die blauen Kacheln, wieder andere hüpften, wirbelten und sprangen ziellos umher. Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand ein riesiger, grotesk Gigue tanzender, künstlicher Kopf, auf Stelzen wie einige der Tänzer, mit drei geschnitzten und bemalten Gesichtern: Eines blickte gerade nach vorn, eines nach links, eines nach rechts. Die Gesichter wirkten wild und unnahbar, so verzerrt und stilisiert, daß es kaum zu sagen war, ob sie Menschen oder Dämonen oder Tiere oder eine Mischung aus allen dreien darstellen sollten. Das nach vorn schauende Gesicht, in stumpfem Grau und Braun gehalten, hatte beide Augen geschlossen; das Gesicht links, mit einer orangenen Zeichnung auf Silber und Schwarz, richtete die Augen nach oben zum Himmel; das rechts, blaßgrün, blau und gelb, schaute zu Boden. Das mittlere Gesicht war mit weißem Bein ausgelegt, das linke mit Feuerstein und Obsidian, das rechte mit Federn und Jade. Der große, dreigesichtige Kopf tanzte seinen dröhnenden Stelzen-Gigue über den Hof, während ein Twizan am Rand der Zuschauerschar stand und in einem singenden Dialekt etwas deklamierte, dem Farber kaum folgen konnte.
    Lirauns Stimmung änderte sich blitzartig, und sie wurde vergnügt, aufgeschlossen und begeistert. Sie bestand darauf, Farber die »Zeremonie« zu erklären.
    Als erstes erklärte sie ihm, daß es sich hier überhaupt nicht um eine Zeremonie handelte. Es war eine weltliche Aufführung, kein religiöses Fest – eine Interpretation von Danau sur Nestres klassischem Versdrama Die Erhebung der kleinen toten Kriecher. Der Held – oder die Heldin, das Cianische machte da keinen Unterschied – war ein kleiner Wurm, der im Schlamm auf dem Grund der Alten See lebte. Aus Gründen, die Farber nicht begriff, verwandelte sich der Wurm eines

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