Fremde
Tages in ein kriechendes Insekt und das kriechende Insekt darauf in einen Fisch (genauer, in eine Art von springendem Aal). Der Fisch (oder Aal) hätte ein langes, friedliches Leben im Ozean führen können, aber es stellte sich heraus, daß er ein »Seeherz« besaß. Farber bekam nie genau heraus, weder aus dem Gesang des Twizan noch aus Lirauns kryptischen Kommentaren, was genau ein »Seeherz« war – möglicherweise bedeutete es, daß der Fisch »von Verlangen erfüllt« war, möglicherweise »Ruhelosigkeit«, ja vielleicht auch »außerordentliche Frömmigkeit« oder »Segnung«, aber genausogut »Unvorsichtigkeit«, ja »Dummheit«. Jedenfalls besaß er ein »Seeherz«, und weil dies so war, mußte er von einem Ende des großen Nordmeeres bis zum anderen schwimmen. Und das tat er dann auch, aber als er den jenseitigen Strand erreichte, war seine Geschwindigkeit so groß, daß es ihn aufs Land hinaufriß und seine Flossen sich an den Felsen zu Füßen schliffen.
Dieser Teil des Versdramas war sehr lang und für Farber ausgesprochen ermüdend; das Verlassen des Ozeans wurde mit unglaublicher Genauigkeit bis ins belangloseste und alltäglichste Detail beschrieben: die Schlammsorte, durch die der Fisch gekrochen war, ihre Zusammensetzung, wo die Felsen lagen und wie groß sie waren, woraus sie bestanden, wie sie aussahen; wo es festen Sand gab, wo Seegras wuchs, die Richtung und Stärke der Strömungen, die Temperatur des Wassers, die anderen Fische, die es zur besagten Zeit in diesem Gebiet gab, alle aufgezählt, abgezählt und beschrieben, wie die Wasseroberfläche von unten aussah, gerade bevor der Fisch sie durchbrach und in die Luft hinausschoß, wie der Himmel aussah, als der Fisch ihn zum ersten Mal erblickte, die Temperatur der Luft, wie stark der Wind war und aus welcher Richtung er wehte … und so weiter. Wenn die stelzenlosen Tänzer während der Rezitation nicht einige spektakuläre gymnastische Übungen vorgeführt hätten, wäre Farber wahrscheinlich im Stehen eingeschlafen.
Als der Fisch es erst einmal bis auf das Land geschafft hatte, wurden die Dinge dann doch etwas interessanter. Das erste, was der Fisch – nun zum Sandkriecher geworden – auf dem Land tat, war, einen Wurf kleiner Sandkriecher hervorzubringen oder sich in viele Teile aufzuspalten, aus denen dann Sandkriecher-Kinder heranwuchsen – der Dialekt machte es Farber schwer, den Vorgang eindeutig zu begreifen. Die Kinder (oder Teile) führten einen seltsamen, faszinierenden Tanz auf, und dann erschienen kwians – geflügelte Beuteltiere, die allerdings gleichbedeutend mit oder stellvertretend für übernatürliche Geschöpfe auftraten. Sie schleppten den Mutter-Sandkriecher (oder einen der Teile) fort und setzten ihn auf einer öden schwarzen Felsebene aus. Hier wurde der Mutter-Sandkriecher (oder sein Teil) von einer Person der Macht besucht, jadeschwarz und wabernd, die erklärte, er müsse sich noch einmal verändern, diesmal zum letzten Mal, um seine Kinder (oder Sippenteile) vor der Ödnis der Welt und der Wut der Sonne zu schützen. Die Person der Macht bot ihm drei Möglichkeiten: Er konnte sich in einen Stein verwandeln, einen hohen, unzerstörbaren Felsen, und die anderen mit seiner diamantenen Härte vor Raubtieren schützen; er konnte sich in ein Moos verwandeln, kühl und saftig, und die anderen mit seiner Feuchtigkeit, seiner Kühle und seiner Weichheit vor der Sonne, scharfen Felsen und dem beißenden Wind schützen; oder er konnte sterben und zu einer Blutlache werden, die den anderen lebenserhaltende Nahrung bot.
Damit endete der Tanz, und die Cian schnippten mit den Fingern Applaus und zischten wie Teekessel.
»Aber wie hat er sich nun entschieden?« fragte Farber. »In was von den dreien hat er sich verwandelt?«
»In alles, in alle drei Dinge zugleich«, sagte Liraun und lächelte.
»Aber das geht nicht! Sie schließen sich doch ausdrücklich gegenseitig aus – er mußte sich entweder in das eine oder in das andere verwandeln. Sie können unmöglich alle drei gleichzeitig wahr sein!«
»Aber das sind sie! Selbstverständlich sind sie das«, versicherte Liraun, noch immer lächelnd, sah ihn dabei aber mit einem seltsamen, eindringlichen Ausdruck an. »Er verwandelte sich sofort in alle drei Dinge auf einmal, genau das. Darin liegt der Sinn der ganzen Geschichte – wenn nur eines daraus geworden wäre, hätte die Geschichte überhaupt keine Bedeutung. Verstehst du? Siehst du es jetzt? Es ist wichtig, daß du
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