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Fremde

Fremde

Titel: Fremde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gardner R. Dozois
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ohne das je ein Wort darüber gesprochen wurde, so daß sie anderswohin spazierten.
    Einmal nahm Farber seine Sensi-Ausrüstung mit, und sie schlenderten über die Porzellanplätze und breiten Avenuen der Neustadt, vorbei an der Straße des Häßlichen Mannes durch ein Netz von schmalen Gassen hinunter zu dem Viertel, das als Fischkopf-Bucht bekannt war. Die Straßen waren hier schmal und mit ausgelassenen Cian überfüllt. An den Hauswänden rankten sich üppige, dichte schwarze Efeugewächse empor, aus denen überall rote, orangene und silberne Blüten schimmerten; die Mauern waren von Baikonen, Gesims und Fenstern übersät, und in jeder Öffnung saßen Cian, beugten sich vor, winkten, riefen zum Nachbarn hinüber oder auf die Straße hinab, sangen und schwatzten, so daß der Weg zwischen den Häusern einer Gasse in einer alten Höhlenstadt in Arizona glich, vervollständigt durch bunt gekleidete, fröhliche Geister der Indianer, die dort einst lebten. Hin und wieder huschten kleine Gruppen von spielenden Kindern an ihnen vorbei, die einzigen Wesen hier, die es eilig zu haben schienen. Manchmal öffneten sich die Gassen zu kleinen Terracotta-Höfen im Schatten von schiefergrünen Geisterfingerbäumen oder rotgoldenen wellá, und hier waren Grillöfen aufgebaut, geformt wie das offene Maul eines Fisches, auf denen Rotfisch und Sandkriecher brutzelten, oder man traf auf Stände, an denen Schneenektar, Blauwein und Essenzen verkauft wurden, und das Zwielicht war vom Geruch gegrillten Fleisches, von Holzrauch und seltsamen Gewürzen erfüllt. Dazu gesellte sich das kristalline Klimpern einer tikan, die irgendwo außer Sicht in einem Dachgarten oder einem versteckten Hof gespielt wurde.
    Sie wanderten Seite an Seite am Aome entlang und betrachteten eine Weile die Boote, das Treiben im geschäftigen Flußhafen und das wirbelnde silberne Wasser, das – für Farber jedenfalls – Gesichter und Stimmen und phosphoreszierende Schaumkönigreiche zu enthalten schien. Schließlich blieben sie an einem Stand stehen, um Streifen scharfen, marinierten Schnapperfleisches zu kaufen. An einem anderen Stand kauften sie Schädelbecher – wie sich herausstellte, handelte es sich dabei um große, Melonen ähnelnde silberne Früchte, die in heißer Asche gebacken wurden. Die ledrige Rinde fühlte sich in der Hand warm an, aber wenn man die Frucht aufbrach, war das Fleisch darin kühl und fest; es glich Marmor oder Schildpatt in der Farbe und schmeckte wie eine überraschend gelungene Kombination von Warzenmelone, Yamwurzel und Passionsfrucht. Nach dem Essen schlenderten sie zurück durch Ethran, Vandermont und Lothlethren, vorbei an dem die Sinne verwirrenden, gewundenen, fünfhundert Meter langen Scharlach- und Gold-Mosaik in der Schlangenstraße.
    Im Eisfrauenweg, nahe der Kuppe des Hügels vom Kalten Turm, blieb Farber stehen und nahm seine Sensi-Gerätschaft vom Rücken. Es gab hier eine schwarze Steinbrücke über einen tiefen Bergeinschnitt, und im Norden erhob sich die Altstadt wie eine gefrorene schwarze Woge über den hochgiebligen, pastellfarbenen Dächern von Brundane. Eine dünne Wasserfontäne sprudelte hier aus der Altstadt herab, wurde vom Wind verbogen und zerrissen. Liraun sah zu, wie Farber seinen Rucksack mit der Sensi-Ausrüstung abnahm, die Sensi-Krone aufsetzte, sie auf dem Kopf justierte und an das Aufzeichnungsgerät anschloß, dann an Schaltern und Knöpfen die Feineinstellung vornahm. Sie sah ihm schweigend zu, wie sie es schon bei seinen vorausgegangenen Sensi-Aufzeichnungen getan hatte. Und diesmal fragte sie ihn schließlich zögernd, fast gegen ihren Willen, was er da eigentlich tat, und er erklärte es ihr.
    Überraschend runzelte sie die Stirn. »Können die Menschen sich selbst nichts ansehen?«
    »Natürlich können sie sich selbst etwas ansehen – sie sind nicht blind. Aber die meisten Menschen können niemals hierher nach Lisle kommen und diese Szene hier selbst sehen, deshalb muß ich es für sie tun.«
    »Und sie sind damit einverstanden? Etwas durch deine Augen zu sehen?« Sie sprach mit leichtem Ekel. »Sie sehen sich die Welt durch die Augen von jemand anders an? Warum tun sie so etwas?«
    Farber war über ihre heftige Reaktion verwirrt. »Vielleicht, weil sie es sonst überhaupt nie sehen würden – die Altstadt dort oben, die Brücke, das Wasser …«
    »Sollen sie doch hierherkommen, wenn sie es unbedingt sehen wollen! Besser überhaupt nichts zu sehen als eine Lüge! Wie können sie die

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