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Fremde

Fremde

Titel: Fremde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gardner R. Dozois
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geworden oder mit leeren Augen im Stehen eingeschlafen sei. Schließlich sagte sie mit einer Stimme, die wie ein Flüstern begann und wie aus weiter Ferne kam und nur langsam hörbar wurde, einer gepreßten Stimme, die vor Aufregung zitterte, brüchig, um in zwei zu zerbrechen, eine benommene Stimme wie die einer Gefolterten, die langsam gesteht, als würde jedes Wort aus ihr herausgerissen: »Mein Mann … oh, mein Mann. Ich habe Angst!«
    Farber nahm sie in die Arme und hielt sie so lange, bis ihr Körper die Spannung verloren hatte und ein wenig unter seinem Griff nachgab. Dann sagte er: »Du brauchst keine Angst zu haben.« Und, sehr sanft: »Du bist eine Frau. Das wäre ohnehin auf dich zugekommen, wie lange du auch immer gewartet hättest. Du solltest keine Angst haben.«
    »Ich höre dich«, antwortete Liraun rituell. Sie löste sich von ihm. »Laß mich nun eine kleine Weile allein«, sagte sie dann erschöpft. Langsam ging sie in einen anderen Teil des Hauses.
    Er sah sie nicht mehr für den Rest des Abends.
     
    Beim Zubettgehen schien Liraun ihre Haltung zum Teil zurückgefunden zu haben.
    Sie tapste aus dem oberen Zimmer, schenkte ihm einen halb klagenden, halb herausfordernden Blick, als er sich an dem Becken wusch, zog sich wortlos das Gewand über den Kopf in einer geschmeidigen Bewegung und legte sich nackt auf das Bett vor ihn, lud ihn mit den Augen, den Lippen, den geöffneten Knien ein. Sie zitterte sogar, als er sie berührte, und als er sich über ihr niederließ, und sich über den ganzen Körper Haut an Haut legte, durchfuhr sie ein leichtes Muskelzucken, als klickten Magnete aneinander.
    In dieser Nacht war ihr Liebesakt heftiger als jemals zuvor, ein verzweifelter Kampf ohne Behutsamkeit oder Zärtlichkeit – eher eine Sache lauter Schreie, aneinanderschlagender Körper und harter, verletzender Hände. Sie schien ihn auseinanderreißen zu wollen, und es bedurfte all seiner beträchtlichen Kraft, sie davon abzuhalten. Er hatte Verletzungen und blutete am Morgen aus einem Dutzend kleiner Wunden, und seine Flanken und Schenkel waren wund von ihren Knien und Fersen. Sie trug seine Fingerspuren länger als eine Woche auf dem Körper. Einmal tat sie etwas, was sie nie zuvor getan hatte – sie biß ihn in ihrer Leidenschaft heftig in die Schulter und saugte das Blut. Im nächsten Augenblick hatte sie sich über ihn gerollt und ritt wie ein Dämon auf ihm, wie eine Wahnsinnige, hatte den Kopf zurückgeworfen, und alle Muskeln bis zum Kinn angespannt.
    Als er kam, spürte er, wie tief in ihr sein Samen ausströmte.
    Danach versicherte sie ihm, daß sie empfangen habe.

 
10
     
    Am Ende des Monats ging Liraun zur Halle der Schneider wegen der Tests. Es handelte sich um weitaus mehr als einen einfachen Schwangerschaftstest, und Farber verstand nur wenig davon. Die Tests hingen mit einer Menge Rituale und Symbolen zusammen, die Liraun nur zögernd erklären wollte. Sie hatte in den vergangenen drei Tagen gefastet und totale Abstinenz praktiziert und allein auf einer schmalen Pritsche neben dem Feuer geschlafen. Wenn sie ihm auch weiterhin das Essen kochte und das Apartment saubermachte, so weigerte sie sich doch, sich von ihm berühren zu lassen, sich ihm zu nähern und redete fast gar nicht. Farber verfolgte sie, bis er sich davon überzeugt hatte, daß ihre dumpfe Verschlossenheit nicht aufgebrochen werden konnte, und dann nahm er die Situation mit soviel Haltung auf, wie er aufbringen konnte. Die Abende verbrachte er damit, seine Korrespondenz aufzuarbeiten, schrieb Brief um Brief, die er wahrscheinlich niemals abschicken würde. Hier ist alles anders, schrieb er, um dann innezuhalten, manchmal stundenlang, auf das Papier starrend, mesmerisiert durch die Homogenität des Banalen und des Unerklärlichen seiner fremden Umgebung.
    Auf der anderen Seite des Zimmers fegte seine Frau warme Asche von der Feuerstelle, fügte pulverisierte Knochen, Holzkohlenstaub und ein paar Tropfen einer unbekannten dicklichen Flüssigkeit aus einer Phiole hinzu, mischte die Mixtur zu einer dunklen, fettigen Paste. Jede Nacht bemalte sie sich nun mit dieser Substanz – verwandelte ihr Gesicht in eine tragische Aschemaske, rieb die Paste auf ihren Kopf, bis das Haar staubgrau wurde, malte sich dunkle Hungerschatten unter die Augen. Dann sah sie aus wie ein schmutziger, verzweifelter Geist, und ehe sie sich schlafen legte, sang sie ein kleines geisterhaftes Lied mit zitternder, schriller Stimme, in dem Farber keine Note

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