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Fremde

Fremde

Titel: Fremde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gardner R. Dozois
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vertraut klang. Beim Erwachen wischte sie sich das Gesicht sauber und begann mit anderen Substanzen. Dieses Mal wurde ihr Gesicht zu einer schreckerregenden – fast insektenhaften – Maske mit Streifen in dumpfem Grün und Blau und Schwarz, mit kleinen Tupfern gedämpften Rots. Stolze Resignation, gerechte Wut, religiöse Ekstase, sexueller Wahnsinn – Farber wußte nie, was davon, wenn überhaupt, die Maske jeweils repräsentieren sollte. Sie malte sich auch konzentrische Kreise um die Brustwarzen, kabbalistische Windungen über den flachen Bauch, stilisierte Pfeile, die von den Lenden auf ihr Schamhaar zielten. Ihre Eckzähen schimmerten gegen die matte, glänzende Gesichtsfarbe, wirkten plötzlich länger, wurden plötzlich – Schock! – zu Fangzähnen. Sie blieb den ganzen Tag über nackt, war nicht sie selbst, schenkte Farbers periodischen Attacken von Geilheit keinerlei Aufmerksamkeit.
    Sie hatte sich seit Tagen nicht gewaschen und begann, einen fauligen, süßlichen Geruch zu entwickeln, der aber nicht unangenehm war.
    Auch war es nicht unangenehm, in der grimmigen Kälte aufzuwachen, wie es Farber am Morgen der Tests tat: Eine Kälte, die er mehr durch die Schlaffelle hindurch ahnte, als sie richtig zu spüren, und die ihm eine schaudernde, fast angenehme Vorahnung von der Unannehmlichkeit vermittelte, wenn er wirklich aufstehen würde. Er döste noch eine Weile und genoß die Wärme, die ihn einhüllte. Dann hob er den Kopf über die Felle. Die Kälte stieß gläserne Pfeile in seine Wangen und brachte ihn schockartig zum Wachwerden.
    Liraun bewegte sich lautlos durch den Raum. Sie hatte das breite niedrige Fenster in der Ostwand geöffnet. Das erklärte die Kälte. Durch das Fenster sah er einen Hügel niedriger Dächer treppenartig ansteigen und den frischen Schnee fallen, der sich langsam auf die Dächer niedersenkte. Man sah keinen Himmel, nur Schnee, der Flocke für Flocke mit nachdenklicher, nicht aufhaltbarer Anmut niedertaumelte und die Luft erfüllte. Still, flusig, sanft, wie langsam fallende Raupen. Es löschte die Geräusche aus und dämpfte den harten Schein von Feuerfrau zu einem gleichmäßigen, richtungslosen Unterseelicht. Manchmal trieb Schnee durch das Fenster, wirbelte über den polierten Silberholzboden, kreiste wieder durch die Luft, verschwand. Einige der Flocken trafen Liraun, blieben kleben, schmolzen, hinterließen auf ihrer Haut glänzende nasse Flecken. Sie ignorierte sie. Nackt ging sie auf das Steinbecken zu, brach die Eisdecke darin auf und begann sich zu waschen. Ihre Bewegungen waren langsam und bewußt, und sie schien die Kälte nicht als unangenehm zu empfinden. Ihr Gesicht – zum ersten Mal sah Farber es seit Tagen ohne Farbe – war ernst und nachdenklich. Das Wasser begann schon wieder zu frieren, und auf ihrem Haar lag ein Eisschimmer.
    Farber döste, eingehüllt in seinen warmen Kokon und öffnete die Augen, um Liraun das Haus verlassen zu sehen. Sie hatte ihr wildes Tagesgesicht aufgesetzt, wenn es auch diesmal Streifen von Orange und gelbe Flecken anstelle der grünen, blauen und schwarzen Streifen trug. Er fragte sich schläfrig, was die helleren Farben wohl symbolisierten. Hoffnung? Eine traurige Hoffnung. Eine heftige, grausame Hoffnung, in Verzweiflung gebettet. Lirauns gemalte Maske schien für einen solchen flaumigen Morgen zu grob und hart. Er rief sie zu sich, schläfrig, aber sie kam nicht. Sie schien nun ein vollständig isoliertes Wesen zu sein; mit sich selbst zufrieden, unerreichbar, glitt sie durch die Außenwelt, ohne sie zu berühren oder berührt zu werden. Öl auf Wasser, dachte Farber. Vermischt sich nicht. Er rief sie nicht noch einmal. In diesem Augenblick stand sie über ihm – oder hinter ihm, egal. Er fragte sich, ob er irgend etwas tun könnte, damit sie auf ihn reagierte, wenn sie sich seiner Gegenwart überhaupt bewußt war. Er glaubte es nicht. Das machte ihn sehr traurig, wenn auch die Schläfrigkeit den Schmerz zu einer scharfen, treibenden Sehnsucht machte. Sie wickelte sich in einen grauen Umhang und ging, ohne sich nach ihm umzusehen, in den Sturm hinaus. Fest schloß sich die Tür hinter ihr. Er blieb allein in einem Raum zurück, der mit gedämpftem weißen Licht angefüllt war wie ein Bergsee mit klarem, eisigen Wasser, und er sank langsam in das Licht und durch das flüsternde Zischen und Gemurmel des Schnees, bis er auf den Grund des Sees stieß und einschlief.
     
    Er erwachte in einer Stille, die aus vielen natürlichen

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