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Fremde

Fremde

Titel: Fremde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gardner R. Dozois
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Geräuschen bestand, die zu weit entfernt waren, um vernommen zu werden. Gelegentlich wurde eines der Geräusche – das Schlagen einer Tür unten am Berg, Schritte, Stimmen – für einen Moment deutlich: ein Geräusch aus den vielen Stillen, die sie vernehmbar machten. Sonnenlicht glänzte auf Wand und Decke und blendete seine Augen. Farber stand auf und lief über den kalten Boden zum Fenster, wobei er eines der Schlaffelle umklammerte. Der Sturm war vorüber. Der Himmel strahlte in seinem normalen intensiven Blauschwarz, gegen das sich die Dächer und Türme der Altstadt scharf abhoben. Auf jeder ebenen Oberfläche lag eine dicke Pulverschneedecke, auf Zweigen, Fenstersimsen und Dächern. Rauhreif glitzerte auf allem und funkelte wie kristallene Feuerfliegen durch die Luft. Es war unglaublich kalt. Farber schloß das Fenster und zwängte sich fluchend und schnatternd in die Kleider. Verdammt, war das kalt! Als er ein Feuer im Kamin angezündet hatte, zitterte er, und seine Finger waren taub. Wie hielt Liraun das aus? Nicht zum ersten Mal kam ihm der unangenehme Verdacht, sie sei viel härter als er. Der nußartige, an Laub erinnernde Geruch des Rauches erfüllte den Raum, gefolgt von einer zögernden, sich langsam ausdehnenden Wärme. Farber begann aufzutauen. Er stand eine Weile beim Feuer und bog die Finger, kehrte dann zum Fenster zurück. Das Glas war mit Eisblumen überzogen. Er machte mit der warmen Hand ein Loch in die Eisschicht und spähte hinaus. Nichts regte sich in der Altstadt. Der Schnee in den Straßen war immer noch glatt und unbetreten. Die Fenster waren verschlossen oder durch den Frost undurchsichtig. Die schwarzen Steinwände der alten Häuser waren eisüberkrustet. Die Welt war eine scharfe Komposition von Schwarz und Weiß: Eis, schwarzer Felsen, weiße, schneebemützte Dächer, schwarzer Himmel – eine überentwickelte monochrome Fotografie, eine verzerrte Masse von Lichtern und Schatten. Es gab keine Farben, kein Chiaroskuro, keine Grauschatten. Die Kalten Wesen herrschten nun vollständig. Dies war ihre Welt und ihre Jahreszeit, regiert vom Haus von Dûn: harsch, eisig, still.
    Farber schauderte ein wenig und wandte sich vom Fenster ab.
    Er verbrachte den Morgen mit Nichtstun. Das war nicht ungewöhnlich – an den meisten Tagen tat er nichts. Er hatte sich fast daran gewöhnt. Aber die fast übernatürliche Stille und Spannung des Morgens ließen ihn wegen seiner Lethargie fast Scham empfinden.
    Zum ersten Mal seit Wochen begann er seine Schlampigkeit abscheulich zu finden. Wie willst du so irgendwem nützen, fragte er sich bitter. Was für ein Leben ist das? Aber die gewohnheitsmäßige Faulheit war schwer zu durchbrechen. Er saß neben dem Fenster und brütete vor sich hin, wie ein Mann, der einen schlechten Traum nicht vollständig abschütteln kann, fühlte sich schal, dumpf und nutzlos und lauschte auf die Stille. Manchmal knarrte einer der Silberbäume draußen in der Kälte, ein scharfes Knack wie ein Pistolenschuß, oder es gab ein dumpfes, aufschlagendes Geräusch, wenn einer der Zweige nachgab und eine Ladung Schnee auf die Straße warf. Einmal huschte ein Schwarm glänzend geschuppter fliegender Eidechsen über die Traufe und tauschte trillernde Arpeggios aus, die durch die gefrorene Luft wie ein Schauer flüssigen, kalten Metalls schimmerten und schlugen. Doch meistens herrschte Stille, und sie schien tief genug, um darin zu versinken.
    Farber versank bereits zum dritten Mal darin, wurde aber vom hartnäckigen Angelhaken eines Geräusches geschnappt. Er hatte es, ohne es richtig zu hören, schon ein paar Minuten lang wahrgenommen, aber nun hörte er es. Langsam zog ihn der Ton aus dem stehenden Tümpel seiner Gedanken. Das Hämmern von Stein auf Stein. Klack. Klack, klack, klack! Unsicher kam Farber auf die Beine.
    Es war direkt draußen vor der Tür.
    Farber fühlte sich merkwürdig angespannt und ging hinaus.
    Zwei cianische Männer bemühten sich, eine Steinsäule vor dem Haus aufzustellen. Als Farber hinaustrat, trieb der eine Cian sie mit dem Hammer in die Erde. Klack! Klack! Klack! ging der Hammer. Erschreckend laut klang es durch die Straße. Die beiden Cian traten beiseite, wischten sich über die Stirn, rieben sich die Hände und blickten die Säule befriedigt an. Es war ein Andreaskreuz, etwa vier Fuß hoch, aus milchigem, feingekörntem Stein geschnitten. Man hatte ein kleines pelziges Tier gevierteilt und die Teile an die Arme des Kreuzes gebunden. Den Kopf des

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