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Fremde

Fremde

Titel: Fremde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gardner R. Dozois
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wimmelnde, sich windende Leben, das dort entstand.
    Der Tümpel war voller Würmer.
    Die Würmer hatten Lirauns Gesicht.

 
15
     
    Manchmal kam Jacawen sur Abut, Lirauns Halbonkel, zu Besuch. Offensichtlich mehr aus politischen Gründen als aus familiärer Zuneigung, da sowohl Liraun als auch Jacawen sich sehr förmlich zueinander verhielten und der Großteil ihrer Konversation aus einem Austausch von Ritualen zu bestehen schien. Aber Jacawen wußte nicht, was er mit Farber anfangen sollte. Es gab kein Ritual, das ihm vorschrieb, wie er sich verhalten sollte – die Situation war einzigartig. Der Mann war da. Man mußte sich mit ihm auseinandersetzen, eine Beziehung aufnehmen. Aber was für eine? Jacawen wußte, wie man sich Außenweltlern gegenüber verhielt, das war Teil seiner Arbeit, und es hatte sich ein angemessener Brauch entwickelt. Aber ob er wollte oder nicht, er konnte Farber nicht mehr als Außenweltler betrachten – er war nun mit den Banden des Blutes an Jacawens eigenes Haus und seinen Stamm gebunden, er war, per Gesetz, ein Verwandter. Jacawen jedoch fand es unmöglich, ihn in dieser Rolle zu akzeptieren. Er konnte sich Mühe geben wie er wollte, er konnte sich nicht einfach völlig herzlich innerhalb des Familienrituals verhalten mit diesem riesigen, lauten Fremden. Und Farbers Unkenntnis der richtigen Form machte die Sache noch schwieriger. Es blieb nichts anderes übrig als der Versuch, mit Farber in einer außergewöhnlichen, speziellen Weise umzugehen, ungeleitet durch Sitte oder Ritual, wo keiner vom anderen wußte, was dieser erwartete – für einen Cian eine erschreckende Vorstellung, besonders für einen aus Jacawens abgehobener und aristokratischer Kaste.
    Jacawen machte einen bewußten Versuch, Farber eine Ehre zu erweisen. Jacawen war ein Schattenmann. Wie bei dem Apachen Netdahe oder den Yaki-Yori auf der heimatlichen Erde bestand seine Philosophie in unerschütterlicher Feindseligkeit gegenüber Fremden, gegenüber allen Eindringlingen. Anders als bei Netdahe war er aber nicht verpflichtet, sie beim ersten Anblick zu töten. Soziale Kontakte mit Fremden wurden von den Schattenmenschen als verachtenswerte, aber unvermeidliche Bedingung des interstellaren Handels angesehen, welcher wiederum als unvermeidliches Übel betrachtet wurde. Angst wirkte sich bei den Cian nicht in Gewalt aus, zumindest nicht als gesellschaftlich bedingte Gruppengewalt, wenn es auch viele Duelle gab. Immerhin bestand diese Feindseligkeit. Jacawen war daran gewöhnt, Fremden mit höflicher Verachtung und scharfem Mißtrauen zu begegnen. Das tat er auch. Er hätte Schwierigkeiten damit gehabt, ihnen irgendwie anders zu begegnen. Er mochte Farber nicht. Er schätzte Farber nicht – alles an dem Erdenmenschen strahlte für ihn eine beleidigende und vergiftende Unorthodoxität aus. Farbers Heirat mit Liraun hatte ihn verletzt, und Liraun war ihm damit auf immer entfremdet. Es war eine Wunde, die niemals heilen würde. Doch nach dem Brauch seines Volkes war er verpflichtet, mit dem verachteten Fremden eine Synchronisierung des Geistes zu versuchen. Es war für ihn undenkbar, dies zu tun, indem er Farbers Ungewöhnlichkeit mehr entgegenkam und sie tolerierte. Ignoranz der Sitten war keine Entschuldigung; die Harmonie lag in allen Herzen und wartete darauf, entdeckt zu werden, und wenn Farber sie nicht gefunden hatte, war das sein Fehler. Deshalb verbrachte Jacawen lange Stunden damit, Farber zu erklären, was seiner Meinung nach falsch an der Lebensweise der Erdenmenschen war.
    »Du gehst zu schnell«, sagte er einmal und wiederholte dabei unbewußt Ferris Worte. »Du bist ungeduldig. Du begreifst nicht, was du siehst, und wartest nicht, bis dir die Einsicht kommt. Du stürzt einfach weiter, so irrsinnig schnell.« Er zwinkerte, schüttelte den Kopf und suchte nach dem richtigen Ausdruck. »Du bist ehrgeizig …« – er benutzte eine terranische Vokabel dafür, weil es in seiner Sprache kein Wort dafür gab – »… und du gehst so schnell, daß du nicht den Boden unter deinen Füßen sehen kannst, und daher zerstörst du, was um dich herum ist. Wie die wilden Tiere bist du gefährlich, wenn du auch nicht offen feindselig bist. Du bist viel zu sehr mit der Außenwelt beschäftigt, der Welt des Fleisches und der Dauerhaftigkeit, und nimmst nicht die Innenseite der Welt in dir selbst wahr. Das ist bei dir wie eine Krankheit, eine Vergiftung, diese Haltung läßt dich nur immer einen Aspekt einer Sache sehen.« Er

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