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Fremde

Fremde

Titel: Fremde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gardner R. Dozois
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verdammst du mich und zerstörst mich, und ich verstehe nicht, warum.« Ihre Stimme zerbrach und wurde dann wieder hart. »Lieben wir immer die, die uns vernichten werden? Lieben wir sie, weil sie uns vernichten werden? Weil nur sie genug für uns empfinden, um die Last unserer Vernichtung auf sich zu nehmen, fort von unseren eigenen Schultern? Glaubst du, daß das die Wahrheit ist? Denn was ich nicht verstehen kann, ist, daß ich dich obwohl du mich vernichtest, noch immer liebe …« Und dort angelangt, lachte sie, weil es so komisch war, lachte mit der Ironie eines Geistes, der auf den Ameisenhügel seines früheren, nun vergangenen Lebens zurücksieht.
    Sie hörte plötzlich zu lachen auf und sah ihn mit einem seltsamen Ausdruck an, fest, eindringlich und mitfühlend, sehr ähnlich dem Ausdruck auf Jacawens Gesicht am Ende seines letzten Zusammentreffens mit Farber.
    Sie sah ihn so lange auf diese Art an, bis der Schmerz sie traf und ihr Gesicht zertrümmerte und alles Menschliche darin auslöschte, wie der Wind eine Kerzenflamme ausbläst.
    Dann begann sie zu schreien.

 
21
     
    Als Farber wieder zu sich kam, saß er gegen die Wand gelehnt, die Knie an die Brust gezogen, den Kopf auf den Knien, soweit von der Masse des aufgefalteten, hochgeklappten Diagnostikators entfernt, wie das Zimmer es zuließ.
    Liraun hatte vor Stunden aufgehört zu schreien.
    Er bewegte den Kopf, und mit der langsamen Bewegung kamen Schmerz und Übelkeit, und mit dem Schmerz kam er wieder etwas weiter zu Bewußtsein.
    Zuerst hatte er sich völlig durch die Unterlippe gebissen; dann, als das nicht ausreichte, ihn davor zu schützen, die Schreie mit anhören zu müssen – und er hatte sie noch lange gehört, nachdem sie in Wirklichkeit längst verstummt waren –, hatte er die Zähne geöffnet und tief in seine Hand gebissen, seine Kiefer um die Hand geschlossen, und dann, als er sie immer noch hörte, hatte er zweimal den Kopf mit aller Gewalt gegen die Wand gerammt. Das hatte auch nicht viel geholfen, aber es hatte alles ein wenig weiterweggetrieben, und schließlich hatte sein Gehirn die einzige Lösung für ihn gefunden, indem er sich einfach abkapselte, alles ausschloß, ihn ausschloß, den Laden dicht machte.
    Jetzt weiß ich, wer der Optin war, dachte er, und dann hörte er auf zu denken, denn es schien eine nutzlose Beschäftigung zu sein, jetzt, da er tot war, nach dem Ende der Welt.
    Er versuchte wieder, sich aufzurichten, und dann, als sei es von der Bewegung losgerissen worden, stieg ein Bild von Liraun vor seinem inneren Auge auf – zu seiner Überraschung kein Bild davon, wie sie ausgesehen hatte, als sie schrie, statt dessen ihr Gesicht, wie es in jenem Augenblick, bevor der Schmerz sie überwältigt hatte, aussah. Jener seltsame Ausdruck, der gleiche Blick, mit dem Jacawen von ihm gegangen war. Er konnte nun sagen, was es war:
    Mitleid.
    Mitleid.
    Mitleid.
    Er setzte sich gegen die Wand.
    Liraun hatte vor Stunden mit dem Schreien aufgehört.
    Zitternd versuchte er es noch einmal. Als er so da stand, ein Vakuum, wurde er sich nach und nach eines Geräusches bewußt, das so anhaltend war, daß er es bis zu diesem Augenblick nicht bewußt wahrgenommen hatte.
    Babygeschrei.
    Von etwas getrieben, das er nicht verstand, begann er den Raum zu durchqueren. Der Boden fühlte sich seltsam und rauh unter seinen Füßen an.
    Irgendwie hatte er es geschafft, sie in den Diagnostikator zu bekommen, während sie schrie und besinnungslos zuckte. Es war ihm sogar gelungen, sie anzuschnallen. Ferri hatte dann, wie vereinbart, übernommen und die Waldos über die Fernkontrolle bedient, und er hatte getan, was er tun konnte. Es war nicht genug gewesen.
    Glücklicherweise war Lirauns Gesicht zur Wand gekehrt.
    Ferri hatte sich an der wunderbaren genetischen Anpassungsfähigkeit der Cian begeistert, aber irgendwo waren auch dieser Anpassungsfähigkeit Grenzen gesetzt. Sie hatte in einer unglaublichen kurzen Zeit aus im Wasser entstandenen Humanoiden Landbewohner gemacht, aber der für das Überleben notwendige, wahnsinnige Zeitdruck bei dieser Umstellung führte auch unausweichlich zu biologischen Fehlern und Mängeln. Eine Konsequenz dieser gewaltsamen Evolution war eine drastische Verengung der Hüften und des Beckens, verursacht durch die Veränderungen des Skelettes, die notwendig waren, um den Cian einen aufrechten Gang an Land zu erlauben. Generation auf Generation hielt sich aufrechter, aber gleichzeitig bekamen die Frauen immer

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