Fremde Blicke
nicht ausstehen kann.«
Johnas schob eine Hand unter den Bauch der Hündin und befühlte ihn vorsichtig. Sie atmete heftig, die Zunge hing ihr aus der Schnauze, eine feuchte rosa Zunge. Die Hündin lag ganz still und ließ sich abtasten. Es würde nicht mehr lange dauern. Johnas starrte aus dem Fenster und hoffte, es bald überstanden zu haben.
»Braves Mädchen, Hera«, sagte er und streichelte sie.
Die Hündin starrte an ihm vorbei, unbeeindruckt von diesem Lob, und er ließ sich ein Stück von ihr entfernt zu Boden sinken. Saß einfach da und sah sie an. Dieses stumme, geduldige Tier beeindruckte ihn ungeheuer. Nie gab es Ärger mit Hera, sie war immer gehorsam und sanft wie ein Engel. Wich auf ihren Spaziergängen nicht von seiner Seite, aß, was in ihren Napf kam, und trottete leise in ihre Ecke, wenn er sich abends schlafen legte. Eigentlich wäre er gern hier sitzen geblieben, bis alles vorbei war, in ihrer Nähe, nur ihrem Atem lauschend. Vielleicht würde es bis zum Morgengrauen dauern. Er war nicht müde. Aber dann ging seine Türklingel, kurz und scharf. Er stand auf und öffnete.
Sejers Händedruck war hart und trocken. Er strahlte Autorität aus. Der Jüngere war anders, hatte eine schmale Knabenhand mit dünnen Fingern. Ein offenes Gesicht, nicht kühl registrierend wie das des Älteren. Johnas bat die beiden ins Haus.
»Was macht die Hündin?« fragte Sejer. Ein schöner Dobermann lag ziemlich ruhig auf einem schwarzrosa Orientteppich. Aber vielleicht ist der Teppich nicht echt, man legt keine gebärende Hündin auf einen echten Orientteppich, überlegte er. Die Hündin keuchte, lag ansonsten aber ganz still da und achtete nicht weiter auf die beiden Fremden.
»Es ist das erste Mal. Drei Welpen, wenn ich mich nicht irre.
Aber das geht schon gut. Bei Hera gibt es nie Ärger.«
Johnas blickte seine Besucher an und schüttelte den Kopf. »Ich bin so erschüttert von dem, was passiert ist, daß ich mich einfach auf nichts konzentrieren kann.«
Während er das sagte, schaute er zu Hera hinüber und fuhr sich mit einer kräftigen Faust über seinen kahlen Schädel. Diesen Schädel umgab ein Kranz aus braunen Locken, die Augen waren ungewöhnlich dunkel. Ein mittelgroßer Mann mit kräftigem Oberkörper und einigen Kilo zuviel um die Taille, vielleicht Ende Dreißig. In jüngeren Jahren konnte er wie eine dunklere Ausgabe von Skarre gewirkt haben. Seine Züge waren fein geschnitten, sein Teint frisch wie nach einem Aufenthalt in südlicheren Regionen.
»Sie möchten nicht zufällig ein Hundebaby kaufen?« Er blickte sie erwartungsvoll an.
»Ich habe einen Leonberger«, sagte Sejer, »und ich glaube, der würde es mir nicht verzeihen, wenn ich einen Welpen anschleppte. Er ist ziemlich verwöhnt.«
Johnas nickte zum Sofa hinüber. Zog den Couchtisch vor, damit die beiden Männer sich vorbeiquetschen konnten. »Ich habe Fritzner bei den Garagen getroffen, ich kam gerade von einer Messe in Oslo. Er hat mir alles erzählt. Ich glaube, ich habe es noch gar nicht richtig begriffen. Ich hätte sie nicht aus meinem Auto aussteigen lassen dürfen.« Er rieb sich die Augen und schaute wieder zu seiner Hündin hinüber. »Annie war oft bei uns. Zum Babysitten. Ich kenne auch S0lvi, sie ist eher der Typ, der sich von Unbekannten mitnehmen läßt. Die hat doch nur Jungs im Kopf. Aber Annie ...« Er sah seine Besucher an. »Das hat Annie kaum interessiert. Und sie war sehr vorsichtig. Und sie hatte doch auch einen Freund, glaube ich.«
»Richtig, den hatte sie. Kennen Sie ihn?«
»Nein, nein, überhaupt nicht. Ich habe sie manchmal hier in der Straße gesehen, aus der Entfernung. Sie waren so verlegen, sie haben nicht einmal Händchen gehalten.«
Bei diesem Gedanken lächelte er ein wenig wehmütig.
»Wohin waren Sie unterwegs, als Sie Annie mitgenommen haben?«
»Ich wollte zur Arbeit. Es sah zuerst so aus, als ob Hera werfen würde, aber dann hat die Lage sich wieder beruhigt.«
»Wann fangen Sie an?«
»Um elf.«
»Das ist doch reichlich spät?«
»Ja, aber wissen Sie, Milch und Brot brauchen die Leute schon morgens früh, Perserteppiche kommen erst später an die Reihe, wenn die primitiveren Bedürfnisse befriedigt sind.« Diese Bemerkung entlockte ihm ein ironisches Lächeln. »Ich habe eine Teppichgalerie«, erklärte er. »In der Innenstadt, Cappelens gate.«
Sejer nickte. »Annie wollte zu Anette Horgen, um an einer Hausarbeit zu schreiben. Hat Sie Ihnen davon erzählt?«
»An einer
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