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Fremde Federn

Fremde Federn

Titel: Fremde Federn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Das glaubte er, Melrose, wenigstens. Er zog den Mantel aus und nahm ein anderes Kleidungsstück von der Stange. Ja, aber waren das nicht die meisten Frauen? Sein Blick wurde entschieden düsterer, er setzte sich eine neue Kopfbedeckung auf.
    Nur Ellen Taylor bekam nie weiche Knie, wenn Jury auftauchte. Sie schien ihn zu mögen, aber sie schmachtete ihn nicht an. Nicht uninteressant, sinnierte er vor sich hin, als er sich wieder etwas um den Hals schlang, mittlerweile so in die Gedanken an die Damen seiner Bekanntschaft versunken, daß er sein Spiegelbild gar nicht mehr wahrnahm. Warum zog er überhaupt Bilanz? Das hatte Jury verbrochen; war Jury nicht in Long Piddleton erschienen und hatte so ekelhaft mit sich und der Welt zufrieden ausgesehen?
    O Gott, war Jury etwa in diese Lady Kennington verliebt? War er schon wieder dabei, sich in ein romantisches Abenteuer mit ungewissem Ausgang zu stürzen? Melrose fummelte mit einem Jabot herum, das er sich umgeknöpft hatte, und dachte über Ellen nach. Ellen gegenüber hatte er immer das Gefühl, er müsse sie beschützen. Und eines mußte er zugeben, sie verlor keine unnützen Worte - in ihren Büchern schon gar nicht. Bestand darin der Reiz von Sweeties Geschichte? Daß sie so karg war? Die arme Ellen. Arm? Wie konnte jemand mit einem solchen Verstand überhaupt arm sein? Aber er nun wieder, wie männlich-überheblich er sein konnte! Er trug den Haufen Klamotten zu dem Tisch mit dem Stereoskop, sein Unterbewußtsein hatte registriert, daß die Stimme aus der Finsternis verstummt war. Er erinnerte sich vage, ein Rascheln und Knirschen und leises Klimpern des Perlenvorhangs gehört zu haben. Vielleicht hatte Die Schwarze Tante den Raum verlassen.
    Er mußte an eine Passage aus Fenster denken, schob ein Bild des St. James Hotel in den Halter, und fragte sich beim Anschauen, ob das Hotel wohl schon zu Poes Zeiten existiert hatte. Wie überladen Poes Stil im Vergleich zu Ellens war, dachte er. Du liebe Güte, Violette. Und dennoch ... so unglaublich es schien und so sehr er mit dem Kustos des Poe-Hauses übereinstimmte, es war trotzdem möglich, oder? Möglich ja, aber höchst unwahrscheinlich. Melrose ließ das Stereoskop sinken.
    Er schaute sich um, fragte sich, was seinen Verstand wohl so kitzelte wie das, was ihn am Kinn kitzelte. Er wischte es weg. Der Vogel krächzte »Im-meer!« ... und Melrose ließ noch ein Bild vor die Linse gleiten. Die kleine Gruppe am Bahnhof. Dieselben Leute im nächsten Bild, sie stiegen aus der Pferdedroschke ... und da mußte Melrose daran denken, was Edgar Allan Poe in jener Nacht passiert war, als er halbtot aus einer ähnlichen Droschke gestiegen war. Niemand wußte ja so richtig Bescheid darüber. Ein paar Tage später war er gestorben. Das Foyer des St. James Hotel, die Palmen in den Kübeln, die persischen Läufer, der Speisesaal stimmten Melrose merkwürdig nostalgisch. Er seufzte. »Ich hab den Kram! Ich hab den Kram!« Melrose sah Estes vor sich, wie er John-joy imitierte und sich die Hand aufs Herz legte. War vielleicht in der Tasche etwas gewesen? In der Brusttasche des Hemdes oder der Jacke?
    Gedankenverloren drehte Melrose an dem Holzgriff des Stereoskops und dachte an John-Joys Mantel. Was hatte die Polizei mit der Kleidung gemacht, die er getragen hatte? Ob sie wirklich alles gründlich untersucht hatten? In alle Taschen geschaut?
    »Allerliebst sehen Sie aus!«
    Melrose wirbelte herum. Er hatte nicht gehört, wie die Tür aufging - Jury und Wiggins standen da und betrachteten ihn. Er befreite sich aus seinem Dämmerzustand und mußte sich dabei ertappen, daß er mit einer Federboa herumfuchtelte. Ein rascher Blick in den Wandspiegel enthüllte ihm, daß er sich nicht nur mit der Boa herausgeputzt hatte, sondern auch noch mit einer Mantilla aus roter Seide und einem hohen, juwelenbesetzten Turban aus Goldstoff. Ei verflixt!
    »Hier in der Gegend gibt’s ein paar Bars, da könnten Sie hingehen«, sagte Jury. »Nicht gerade ins Horse, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
    Melrose warf Turban, Schal und Boa von sich, so schnell er konnte, und sagte so lässig er konnte: »Ich kaufe mir ein paar schicke alte Klamotten.« Und zog das Abendcape wieder vom Bügel.
    »Ausgerechnet Sie«, sagte Jury.
    »Das war unabdingbar, um von den Leuten in der Cider Alley Informationen zu bekommen. Für den Fall, daß Sie sich wundern.«
    »In der Cider Alley waren Sie? Haben Sie was Wichtiges erfahren?«
    »Das eine oder andere. Was wollen Sie

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