Fremde Federn
gehoben und gerümpft, »wenn Sie hier gewesen wären, anstatt durch die Weltgeschichte zu jetten, hätten Sie ihn kennengelernt. Ihn oder Sie.«
Das war es natürlich. Jury hatte die Unverfrorenheit besessen, in die Staaten zu düsen und sie hierzulassen, wo sie gänzlich ohne seine helfende Hand ihr Leben meistern mußte. Mrs. Wassermann konnte Carole-anne in mancher Hinsicht helfen: einen Saum hochnehmen, einen Ausschnitt herunternehmen, geheimnisvolle Telefongespräche in der Rolle von Carole-annes ältlicher Tante führen, Hühnersuppe hochtragen, und dergleichen mehr. Aber man mußte der Wahrheit ins Gesicht sehen: Mrs. Wassermann war nicht einsfünfundachtzig und hatte keine grauen Augen, die so wunderbar ihre Farbe ändern konnten, und kein Lächeln, bei dem man dahinschmolz. Jury war nicht nur losgeflogen, er war sogar geflogen, ohne ihr Bescheid zu sagen, und hatte nicht einmal einen Zettel hinterlassen, und jetzt war er ohne Geschenk aus den Staaten zurückgekommen. Aus den Staaten, wo sie in ihrem ganzen Leben noch nie gewesen war. (Jurys Blick glitt zu dem unausgepackten Koffer, in dem die in Seidenpapier gewickelte Barbie lag, mit Turban und allem Drum und Dran. Aber jetzt war er auch bockig und sah nicht ein, wieso er etwas wiedergutzumachen hätte.)
Er saß da, drehte Däumchen, die Teetasse thronte auf der Sessellehne, und schaute sie mißbilligend an. Dann lächelte er. »Ich kann es ganz leicht eingrenzen.«
»Keine Ahnung, was Sie meinen.«
»Ich kann Ihnen sagen, was für einer Art Mensch Sie die Wohnung vermieten.«
Sie wackelte mit den Schultern und schenkte ihm ein falsches Lächeln. »Wie könnten Sie?«
»Ich bin Kriminalist. Wir könnten folgende Personen eliminieren: weiblich, Altersgruppe sechzehn bis sechzig, gutaussehend. Damit wäre eine nicht unbeträchtliche Gruppe schon einmal abgehakt. Des weiteren können wir die Unter-Sechzehnjährigen ausschalten - denn es ist unwahrscheinlich, daß unter Sechzehnjährige eine Wohnung suchen - und die Über-Sechzigjährigen, weil Sie nicht noch eine Mrs. Wassermann gebrauchen könnten. Am wahrscheinlichsten wäre also: männlich, Altersgruppe sechzehn bis sechzig, gutaussehend. Knaben unter sechzehn können wir aus demselben Grund wie Mädchen und ÜberSechzigjährige vernachlässigen, weil Sie ganz sicher nicht wollen, daß ein Mann daherkommt und Mrs. Wassermanns Zeit und Aufmerksamkeit mit Beschlag belegt. Die wahrscheinlichsten Kandidaten wären demnach: an erster Stelle hübscher, eher jüngerer Mann und an zweiter: unattraktive Frau.« Jury zog die Augenbrauen zusammen und fixierte sie mit einem hinterhältigen Lächeln. Carole-anne gelang es nie, ihre Gefühle zu verbergen. Immer sah man sie ihr an. »Aber Sie werden sehen, Ihr Auswahlmodus hat Mängel.«
»Seien Sie nicht blöd. Ich habe die Wohnung natürlich an die verläßlichste Person vermietet. Er oder Sie, darauf habe ich geachtet, ist sehr ordentlich und sauber und Nichtraucher.«
Kaum zu glauben angesichts des Zustands von Jurys Aschenbechern. Jury machte es sich in seinem Sessel gemütlich, schloß die Augen und wartete.
»Inwiefern Mängel?«
Er tat, als schliefe er. Wegen des Jetlags war das nicht schwierig.
»Was für Mängel?« sagte sie lauter.
»Was? Oh. Hm, wenn Sie an eine weibliche Person vermietet haben, wäre diese nach Ihren Maßstäben unattraktiv.«
»Und nach Ihren nicht?«
Jury schüttelte den Kopf. »Ich habe nur ein einziges Mal erlebt, daß wir die gleiche Vorstellung von >attraktiv< hatten: und zwar bei Ihnen. Und der Herr im Himmel weiß, wenn noch mehr Frauen aussähen wie Sie, hätte die Ozonschicht über Islington noch ein Loch mehr.« Jury lächelte. Sie zog die Stirn kraus und versuchte herauszufinden, ob das ein Kompliment war oder nicht.
Dann schraubte sie den Verschluß auf das Fläschchen mit dem signalroten Nagellack und sagte: »Ich fand S-Bindestrich-H attraktiv. Und Sie auch.«
»Ach, wirklich? Komisch, ich entsinne mich vage, daß Sie eine Fernsehantenne erwähnten, als es um ihre Figur ging.« Susan Bredon-Hunt war eine alte Flamme von Jury.
»Daran kann ich mich nicht erinnern«, sagte Carole-anne schnippisch. Sie hievte schwungvoll die Beine vom Sofa, wackelte mit den Zehen, lehnte sich zurück und präsentierte dabei ihrerseits eine Figur, die mit einer Fernsehantenne nicht die geringste Ähnlichkeit besaß. »Egal, ich muß die Wohnung ja auch nicht unbefristet an diese Person vermieten. Sie haben die Miete nur für die
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