Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Fremde Federn

Fremde Federn

Titel: Fremde Federn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
Vom Netzwerk:
.
    Erneut half sie ihm auf die Sprünge. »Sie und diese Julie - was passierte dann?«
    Um sowohl Zeit zu schinden als auch sich ordentlich zu strecken, erhob sich Melrose von seiner unbequemen Sitzgelegenheit und begab sich zu den Regalen, die alle möglichen Accessoires enthielten - Schals, Handschuhe, zerdrückte Damenhüte.
    »Und? Weiter!«
    Melrose schob die Hand in einen weißen, unechten
    Pelzmuff und dachte an Julie. Julie Christie! Wie sie in Doktor Schiwago an der Seite dieses Schauspielers mit dem dicken Schnauzbart durch den Schnee fuhr. »Julie trug ein Cape mit einer in Hermelin eingefaßten Kapuze. Sie hatte einen Muff. Darin war ein Gewehr versteckt.« Aus den Augenwinkeln beobachtete er, wie diese Neuigkeit ankam.
    Nicht übel, denn sie hatte aufgehört zu essen und wirkte beunruhigt.
    »Julie war nämlich auf der Flucht vor dem KGB. Den KGB gab es ja damals noch. Jetzt ist es nicht mehr so schlimm«, fügte er aus irgendeinem Grund hinzu.
    »Was hat Julie gemacht? Warum waren sie hinter ihr her?«
    »Sie behaupteten, sie hätte jemanden umgebracht - das Telefon klingelt.«
    Sie sah sich um. »Das ist nur für meine Tante.« Als folge sie ihren eigenen Gedankengängen, die nichts mit Melrose zu tun hatten, setzte sie hinzu: »Sie ist nicht meine richtige Tante.«
    »Oh! Wie bist du denn dann an sie gekommen?«
    Genug vom wirklichen Leben. »Wen hat Julie umgebracht?«
    »Den Mann einer Frau, die einen hohen Regierungsposten innehatte. Den Mann von Madame Vronsky. Zumindest wurde sie beschuldigt, ihn getötet zu haben. Keiner wußte etwas Genaues. Aber mir hat sie so sehr vertraut, daß sie mir die Wahrheit gesagt hat. Es war natürlich ein tiefes Geheimnis. Doch sie wußte, sie konnte sich auf mich verlassen.« Er schaute an sich herunter, seine Hände steckten noch immer in dem Muff. Ein Glück, daß bisher niemand in den Laden gekommen war.
    »Und haben sie sie gefangen?«
    »Nein. Aber du greifst meiner Geschichte vor«, sagte er, ganz schön ungeduldig für jemanden, der so weit zurückhing, daß er nicht einmal wußte, was seine Russen im Schilde führten.
    »Sie haben immer noch nicht erzählt, warum Aljoscha Ihnen gesagt hat, Sie sollten aus - wo war es?«
    Wo? Ach ja. »Leningrad. Das wurde mir erst sehr viel später klar. Du greifst schon wieder vor.« Melrose rieb sich die Stirn. Vor seinem inneren Auge malte er es sich aus: das weite zugefrorene Land, eine Reihe schwarzer Bäume, die violetten Schatten. Dämmerte der Morgen oder der Abend? Ein blaßrosa Streifen hing wie ein Schleier über den Bäumen in der Ferne. Und während die Sonne allmählich aufging, sah er sich (und Julie) in dem Schlitten lautlos über den Schnee gleiten. Dann sah er die buntschillernden Lichtflecken der Schaufenstereinlagen und dachte: Wunderbar! Und ihm fiel ein, wie Johanna die Wahnsinnige immer im Jack and Hammer erzählte, die Schreiberei sei etwas völlig Mechanisches. Ach, sie irrte sich gewaltig! Phantasie hatte mit dem schwerfälligen Räderwerk des Lebens nicht das geringste zu tun. Es war wirklich Arbeit, die Arbeit, Tautropfen in einer Teetasse zu sammeln oder Sterne um den Mond zu heften.
    »Ein dreifaches Hoch!« rief er aus.
    »Wie bitte?«
    Einen Moment lang hatte Melrose vergessen, wo er war. »Entschuldigung. Nur ein bißchen Alice im Wunderland. Ich habe mich verfranst.«
    Er stand auf, reckte sich und ging zu einem Schränkchen mit kunterbunten geschnitzten Tierchen. Er nahm eines, das genauso farbenprächtig war wie der Ara und eine lange Schnauze und einen geschuppten Schwanz hatte. Ein Gürteltier? Ein Leguan?
    »Ein paar Stunden, die uns wie Tage vorkamen, fuhren wir in dem Schlitten. Auf einmal wieherten die Pferde und blieben stehen. Etwas war über den Weg geglitten. Ich sah nur noch etwas Kleines davonhuschen. Es hatte einen Schwanz.«
    »Eine Ratte? In Baltimore gibt es massenhaft Ratten.«
    »Nein«, sagte Melrose. »Wir reden doch über Georgien in Rußland.«
    »Aber in Rußland gibt es bestimmt auch Ratten.«
    »Schau, ich habe gesagt, es war keine Ratte.«
    Sie nickte.
    Er setzte das Gürteltier oder den Leguan wieder ab. »Julie ergriff mich am Arm und sagte, vielleicht hätten wir gerade einen der sagenhaften Trotzkitoskis der russischen Steppe gesehen. Das sind Tiere, die so ähnlich wie kleine Füchse aussehen, und es heißt, sie bringen dem Glück, dessen Pfad sie kreuzen. Die Kurzform ist >Trots<.«
    »Hat der Trot Ihnen Glück gebracht?«
    Melrose feixte innerlich, weil

Weitere Kostenlose Bücher