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Fremde Federn

Fremde Federn

Titel: Fremde Federn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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an. »Melja«, sagte sie. Dann beantwortete sie eine Frage: »Oreos und Schneebälle.«
    »Hast du die gebacken?«
    »Nein. Die sind gekauft.«
    Melrose nahm sich eines der kugelrunden Dinger mit dem dicken, klebrigen weißen Guß und den Kokosnußraspeln. Ein Bissen langte. Er legte es auf den Rand eines Tellers mit alten Münzen.
    »Erzählen Sie weiter. Von den Namen«, sagte sie.
    Er kratzte sich am Kopf. »Russin bist du vermutlich nicht - oder etwa doch? Viele Leute sind keine Russen und haben trotzdem diese Patronyme und Abkürzungen. Obwohl man die meisten, wie ich schon gesagt habe, bei Tolstoi findet. Oder Dostojewski.«
    Sie beobachtete ihn ganz genau, während sie die Creme von ihrem Oreo leckte.
    Melrose war schon vor Urzeiten einmal zu dem Schluß gekommen, daß man, wenn man tief in der Patsche steckte, schnurstracks noch tiefer hineinwaten mußte. »Ich kannte mal - hm, eigentlich war es mein allerbester Freund - einen Russen, der hieß Alexej. Aber der Diminutiv war Aljo-scha. Ich war bei seiner Hochzeit. Er war ziemlich wohlhabend; es war eine riesige Hochzeit. Ich bekam ein Stück weißen Kuchen in einer kleinen, mit weißem Satin ausgeschlagenen Schachtel -«
    »Ich dachte, das kriegten nur Damen.«
    »In Rußland nicht. In Rußland kriegen es die Männer. Die brauchen da eher schon mal Glücksbringer.«
    Sie nickte und zerbrach noch einen Keks.
    Gedankenverloren drehte Melrose den Teller mit den fremder Münzen. »Aber als ich die Schachtel aufmachte, fand ich kein Stück Hochzeitskuchen, sondern einen Rubel und einen kleinen zusammengefalteten Zettel. Der teilte mir mit ... nein, er legte mir dringend nahe, Leningrad, sofort, hm, zu verlassen und nach -« Sein Blick fiel auf einen Stapel alter Postkarten; eine zeigte die Rockettes, die aus Leibeskräften die Beine schwenkten, alte Babies in Satinwindeln, und er mußte an die anmutigen Folkloretänzer aus Georgien denken. »- Georgien fahren. Ja, ich sollte Leningrad verlassen und nach Georgien fahren.« Er versuchte sich einen Grund auszudenken, warum der Rubel in der Schachtel war, aber ihm fiel nichts ein.
    »Meinen Sie Georgia, sollten Sie vielleicht nach Atlanta fahren?«
    »Was?«
    »Ob Sie nach Atlanta fahren sollten?«
    »Nein, nein, ich meine Georgien. Das russische Georgien.«
    Sie nickte, legte den nackten Keks neben den anderen, auf dem auch keine Creme mehr war, und nahm einen dritten. Er betrachtete die Schneebälle und fuhr fort: »Es war Winter.« Jip kuschelte sich in die alten Kleider, die Stange geriet ins Schwanken. Hinter dem weißen Kleid hing ein räudiger alter Pelzmantel. »Man gab mir warme Kleidung und einen Schlitten. Wenn ich mich recht entsinne, war der Mantel, den ich erhielt, aus russischem Zobel.« Als er in ihre russisch-bernsteinfarbenen Augen schaute, überlegte er, ob eine Frau in dem Schlitten sitzen sollte oder nicht.
    »Wer hat Ihnen den Schlitten und das andere Zeugs gegeben? Aljoscha?«
    »Ja.« Ah, gut, sie steuerte den Hintergrund selbst bei. »Er war reich.«
    »Das haben Sie schon gesagt.« Sie drückte die beiden Hälften des abgeleckten Kekses aufeinander, legte sie auf den Glasteller und nahm den nächsten Keks vom Stapel. »Weiter.«
    »Du kannst dir nicht vorstellen, wie hoch der Schnee lag.« Melrose spürte die schweren, nassen Flocken förmlich im Gesicht. »Er fiel . zentimeterdick. Wir fuhren drei Tage und drei Nächte.« In Märchen passierten die Dinge immer dreimal.
    »Wir?«
    Er hatte vergessen, die Frau zu erwähnen.
    »Eine Freundin von Aljoscha.«
    »Die haben Sie bestimmt auf der Hochzeit kennengelernt. Wollen Sie noch Tee?«
    »Ja, bitte.« Sie war eine exzellente Zuhörerin. Als der frische Teebeutel in seinen Becher plumpste und sie vom mittlerweile lauwarmen Wasser dazugoß, erzählte er weiter. »Sie war Aljoschas Schwester.«
    »Wie hieß sie?«
    »Julie.« Wo kam das nun wieder her? Julie klang nicht russisch.
    Prompt wurde er darauf hingewiesen. »Das klingt aber nicht sehr russisch.«
    »Ihre Mutter war Engländerin.«
    »Aber sie war Aljoschas Schwester. Also muß sie auch Russin sein.«
    »Ihre Halbschwester«, sagte Melrose mit frischem Mut. »Aber sie ist - ich meine, sie hatte ihr ganzes Leben in Rußland verbracht. Ist das wichtig? Sie war hinreißend schön. Ihr Haar war sehr dunkel, und ihre Augen hatten . eine Farbe wie Sand im Sonnenuntergang. In Arabien.« Seine Gedanken drifteten ab zu sanften, endlosen goldenen Dünen und der roten Sonne, die dahinter versank

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